Morphologie
Inhaltsverzeichnis
Definition der Morphologie
Die Morphologie(auch Morphemik genannt) ist kurz gesagt „Die Lehre von der Form“. Der Terminus „Morphologie“ wurde von Johann Wolfgang Goethe geprägt und als Wissenschaft „die sowohl die speziellen, als auch die allgemeinen Strukturgesetzmäßigkeiten der von anderen Wissenschaften behandelten Gegenstände erfassen soll“ begründet. Allerdings ist die von ihm geforderte „ Allgemeine Morphologie“, die disziplinübergreifend agieren sollte, um eine Art Ranking der Wissenschaften und ihren direkten Vergleich zu ermöglichen, aus heutiger Sicht unmöglich, da die Vielfalt und Komplexität der Wissenschaften zu umfangreich geworden ist und die einzelnen Wissenschaften zuviele Spezialgebiete und Untergliederungen beinhalten.
Morphologie in der Linguistik
Historische Grundlage
Ab dem 19. Jahrhundert hat sie sich als linguistische Wissenschaft etabliert,vor allem wegen drei wichtigen Entwicklungen im Bereich der Germanistik und Sprachenforschung:
- verstärkte Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und Sprache, bis hin zum Indogermanischen
- im Zuge des Kolonialismus treten exotische und unbekannte Sprachen auf, die völlig von den europäischen Sprachen abweichende Regel besitzen
- der Versuch, die bestehenden Wissenschaften in einen Kontext zu setzen, sie zu vergleichen und hierarchisch anzuordnen, wie Goethe es versuchte
Wichtige Vertreter der Morphologie waren z.B. J.W.Goethe, Jacob Grimm, Franz Bopp und Paul Hermann
Definition und Einordnung
Morphologie wird traditionell als die „Lehre von den Formen der Wörter“ definiert.Wie einige andere Begriffe in der Linguistik kann „Morphologie“ sowohl ein Teilsystem der Sprache (und einzelner Sprachen) bezeichnen, als auch ein Teilsystem der Linguistik, die dieses System analysiert und beschreibt. Sie bildet das Bindeglied zwischen der Semiotik(diese untersucht den Inhalt unabhängig vom Ausdruck) und der Phonologie/Phonetik(sie untersucht den Ausdruck unabhängig vom Inhalt). Sie untersucht die Form des Wortes,seine Bedeutungs- und Lautstruktur in ihrer Interrelation.
Form, Inhalt und Funktion
Form
Der Begriff der Form findet sich auch im Alltagsgebrauch(Form eines Baumes,Form einer Melodie), und beschreibt die sicht- oder hörbare(sinnlich zugängliche) Gestalt von Objekten, also sozusagen die „äußere Seite“. In der Linguistik gibt es die lautliche und graphische Form von sprachlichen Zeichen: Die sprachlichen Zeichen Bund und bunt besitzen die gleiche lautliche Form bunt, die zwar phonologisch exakt gleich ist, dennoch besitzen beide Wörter eine unterschiedliche Semantik. Form bezeichnet auch die Gesamtheit der Relationen, die zwischen den Elementen eines Systems existieren, also die Struktur eines Systems: Die Form von Wirtschafts-,Sternen- oder Flexionssystemen: Hund als Nominativ(Der bellende Hund) oder Akkusativ(Ich höre den bellenden Hund) im Singular besitzt zwar die gleiche phonologische Struktur, aber beschreibt unterschiedliche Flexionsformen, und nimmt damit im Akkusativ andere Funktionen im "System" des Satzes ein, als im Nominativ.
Inhalt
Der Inhalt ist die „Gesamtheit, der einem Ding innerlich zukommenden Eigenschaften im Gegensatz zu dessen äußeren Eigenschaften“. Form und Inhalt sind immer auf einander angewiesen, denn Form ist immer Form eines Inhalts und Inhalt existiert immer in einer bestimmten Form.
Funktion
Die Funktion ist die Fähigkeit eines dynamischen Systems, bestimmte Verhaltensweisen hervorzubringen. Sowohl Inhalt als auch Funktion beeinflussen die Form, und die Form beeinflusst auch den Inhalt und die Funktion.
Skizzierung des Aufbaus eines Sprachsystems
Das Sprachsystem lässt sich grob in folgende Stücke einteilen:
- Phoneme, oder minimale, bedeutungsunterscheidende Einheiten eines Textes,jedoch ohne inhaltliche Bedeutung /e:/ (langes e), /e/ (kurzes e)
- Morpheme, oder minimale, bedeutungstragende Einheiten, sie setzen sich aus eienr Phonemfolge mit eigenem Inhalt zusammen: der,die,das,Mensch,Schrank
- Wortform, oder minimale autonome Einheiten eines Textes, setzt sich aus einer starren Morphemfolge zusammen: der Mensch, im Schrank
- Sätze, oder minimaler Text, sie besitzen sprachliche Strukturen, die Äußerungen darstellen und kommunikative Funktionen besitzen: Ich gehe einkaufen.
Arten der Wortbildung
Flexion
Hierzu zählen Konjugation und Deklination: Ich lese ein Buch. (an das Grundmorphem les- wird e als Flexionsmorphem der 1. Person Singular Präsens Indikativ Aktiv angehängt)
Derivation
Durch die Kombination des Grundmorphems mit Affixen entsteht eine Wortableitung: Krankheit (an das Grundmorphem krank- wird -heit angehängt, ein Derivationsmorphem zur Substantivierung von Adjektiven)
Komposition
z.B. Informationswissenschaft : durch die Komposition der Morpheme Information und Wissenschaft entsteht ein Kompositum
Morphologie und ihre Bedeutung für die Informationswissenschaft
Durch die vielen möglichen Variationen, die von einem Grundmorphem ermöglicht werden, tauchen viele Probleme, vor allem in der maschinellen Arbeit mit Sprache auf. Indexierungs- und Suchsysteme (z.B. Das OPAC der SULB, )können durch die falsche Eingaben(Input),beispielsweise aufgrund falscher Flexionsformen an Effektivität einbüßen, weil sie zu völlig anderen Ergebnissen kommen: Der Suchbegriff Die Leiden der jungen Werther Dadurch, dass man einen einzelnen Buchstaben falsch eingibt, erhält man statt dem gewünschten Werk von Goethe möglicherweise keine oder nur falsche Ergebnisse bei der Suche. Noch stärker ist die Problematik bei phonologisch gleichen, aber von ihrer Bedeutung variierenden Morphemen: Essen(Stadt)-Essen(Nahrung) Hier erhält man auf die Suchanfrage möglicherweise die Ergebnisse zum eingegebenen Wort, allerdings, u.U. nicht die, die man haben wollte (also zur Stadt), sondern jene, die auf die andere Bedeutung zutreffen(in diesem Fall: Nahrung). Auch beim Datenoutput (vor allem auf akkustischer Basis) kann es zu Unklarheiten kommen: Bund-bunt,wem-wen, seid-seit
Hier ist die Morphologie für die Informationswissenschaft nützlich , indem man mit ihrer Hilfe das Retrieval verbessern kann, indem man z.B. mit einer morphologischen Analyse das Recall und Precision erhöhen kann: Wird z.B. das Wort "Informationswissenschaft" einer automatischen morphologischen Analyse unterzogen und in "Information" und "Wissenschaft" zerlegt, kann man beim Retrieval auch nur "Information" als Suchwort benutzen, auch wenn im Text "Informationswissenschaft" steht.
Besonders betroffen ist auch die Maschinelle Übersetzung, hier kann sich durch eine falsche Datenverarbeitung sogar eine Verschiebung der Bedeutung ereignen:
Aus I´m driving to work by car wird, ohne auf die morphologisch/syntaktische Struktur zu achten, ich bin fahrend arbeiten von auto
"I´m driving" muss als Einheit erkannt und verarbeitet werden, "to work" darf nicht als Infinitivform gelesen werden und "by car" muss im Deutschen als Dativ (mit dem Auto) stehen.
Auch hier bietet die Morphologie Lösungsmöglichkeiten: Mit Hilfe von morphologischen Datenbanken (wie z.B. MORPHY, PC-KIMMO oder Shobex).Diese beinhalten Morphemlexika, können die Flexionsformen bestimmen und verwandte oder abgewandelte Wörter aufzeigen. So wird eine Übersetzung in die richtige morphologische Struktur der anderen Sprache ermöglicht.
Quellen
Morphologie. Ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung. Hrsg. von Geert Booj, Christian Lehmann, Joachim Mugdan u.a. Walter de Gruefer, Berlin und New York, 2000
Camilla Warnke: Inhalt. In: Klaus &Buhr (Hrsg.) 1974
Georg Klaus: Funktion. In: Klaus & Buhr (Hrsg.) 1974
Wolfgang Wildgen: Goethe als Wegbereiter einer universalen Morphologie. Trier: Linguistic Agency University of Trier.1984
Franz Simmler: Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. WEIDLER Buchverlag Berlin 1998