Gestalttheorie
Inhaltsverzeichnis
Herkunft und Vertreter der Gestalttheorie
Die Gestalttheorie bezeichnet eine Schule oder Richtung der Psychologie, die sich mit der ganzheitlichen Wahrnehmung von Phänomenen befasst. Den Grundstein der Theorie legte der Physiker, Psychologe und Philosoph Ernst Mach mit seinem 1886 erschienenen Buch „Die Analyse der Empfindung“. Machs Grundgedanken, dass die Form als Ganzes über weitere Unterscheidungsmerkmale bei der Wahrnehmung von Gegenständen dominiert, übernahm Christian Ehrenfels mit seiner Ausführung „Über Gestaltqualitäten“ (1890). Um 1910 entwickelten die Psychologen Max Wertheimer, Wolfgang Köhler und Kurt Koffka die entstandenen Ansätze zu einer Theorie weiter und wurden zu den eigentlichen Begründern der „Schule der Gestalttheorie“.
Grundgedanke der Gestalttheorie
Die Kernthese der Gestalttheorie besagt, „dass psychische Phänomene nur dann verstanden werden können, wenn man sie als organisiertes Ganzes auffasst und nicht in einfache perzeptuelle Elemente zerlegt“ (Zimbardo, 2004). Die „Gestalt“ selbst wird als klar erkennbare Ganzheit definiert, die in sich geschlossen erscheint und sich beim Wahrnehmungsvorgang spontan organisiert. Sie ist nach Ehrenfels mehr als nur die Summe ihrer Einzelteile (Übersummativität) und bleibt auch dann als Gestalt erhalten, wenn all ihre Einzelelemente ausgetauscht werden (Transponierbarkeit).
Gestaltqualitäten
Die verschiedenen Merkmale von Gestalten haben die Gestalttheoretiker unter dem Begriff der Gestaltqualitäten zusammengefasst. Das sind nach Metzger diejenigen Qualitäten, die an einer Gestalt übrigbleiben, wenn man alle Eigenschaften der einzelnen Elemente der Gestalt außer acht lässt. Man kann die Gestaltqualitäten in drei Gruppen aufteilen:
Unter die Struktur- und Gefügeeigenschaften fallen grundsätzlich alle Eigenschaften des Grundcharakters, der Anordnung und des Aufbaus einer Gestalt wie zum Beispiel rund, eckig und wellig. Zu den Materialqualitäten gehören Materialeigenschaften wie durchsichtig, glatt, glänzend und weich. Die Wesens- und Ausdrucksqualitäten bezeichnen Stimmungs- und Gefühlswerte von Gestalten und Formen wie sanft, friedlich und freundlich. Die Gestalttheoretiker setzen Beziehungen zwischen Gefügeeigenschaften und Wesenseigenschaften, dass heißt bestimmte Formen werden mit Gefühlen verbunden. Bei der Wahrnehmung einer Gestalt werden vom Betrachter meist die Wesenseigenschaften am intensivsten Wahrgenommen (sogenannter Primat des Ganzen).
Grundsätzlich gilt, dass nur die Gefügeeigenschaften methodisch untersucht und beschrieben werden können (sogenanntes methodisches Primat der Struktur). Auch die Materialqualitäten, welche sich auf die Gestalt als Ganzes beziehen, können nur über die Gefügeeigenschaften beschrieben und erklärt werden. Die im folgenden Abschnitt behandelten Gestaltgesetze beziehen sich daher alle auf die Gefügeeigenschaften.
Gestaltgesetze
Das Gesetz der guten Gestalt, auch Prägnanzgesetz genannt, ist das übergeordnete Gesetz zur Wahrnehmung von Gegenständen. Es besagt, dass Einzelelemente zu Gestalten zusammengeschlossen werden, indem unser Wahrnehmungssystem optische Eindrücke aufgrund prägnanter Eigenschaften wie Einfachheit, Symmetrie oder Geschlossenheit zu Gebilden, den „Gestalten“, zusammenführt. Die Gestalt umfasst mehr als die Summe ihrer Teile, wobei die Teile von der Gestalt bestimmt werden. Dem Prägnanzgesetz unterliegen folgende Teilregeln, die Gestaltgesetze.
- Gesetz von Figur und Grund
- Ein gesehenes Ganzfeld teilt sich in eine scharf gesehene Figur im Vordergrund und einen diffusen Grund im Hintergrund auf. Es ist nicht möglich beide Elemente gleichzeitig wahrzunehmen. Der Sinn der Differenzierung liegt in der Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem.
- Gesetz der Gleichheit
- In Form oder Farbe gleichartige Elemente werden in einheitliche Gruppen zusammengefasst.
- Gesetz der Nähe
- Elemente in räumlicher Nähe werden als zusammengehörig erlebt.
- Gesetz der Geschlossenheit
- Linien, die eine Fläche umschließen, werden als eine Einheit aufgefasst.
- Gesetz der Symmetrie
- Symmetrische Gebilde werden gegenüber asymmetrischen Gebilden eher als Figur aufgefasst, asymmetrische dagegen werden eher als Hintergrund erkannt.
- Gesetz des weiterführenden oder gleichen Verlaufs
- Unvollständige Linien werden meist in der Weise fortgeführt wie sie begonnen haben. Allein Bruchstücke und Andeutungen von Formen genügen, um sie im Sinne einer „guten Gestalt“ gedanklich zu vervollständigen.
- Gesetz der Erfahrung
- Komplexe, fremde Erscheinungen werden mit Hilfe von hinein gesehenen bekannten Dingen entschlüsselt.
Die Bedeutung der Gestalttheorie für die Informationswissenschaft
Im Bezug auf die Interfacegestaltung helfen die Gestaltgesetze allgemein Übersichtlichkeit und Ordnung herzustellen. Durch Richtlinien, wie das Gesetz der Nähe, der Geschlossenheit, der Gleichheit und der Symmetrie können Icons sowie das Gesamtbild graphisch prägnanter gestaltet werden. Sie geben eine Anleitung visuelle Elemente bedeutungsvoll miteinander zu verknüpfen um ein klares Bildschirmlayout herzustellen und eindeutige Figur-Grund-Beziehungen zu entwerfen.
Literaturangabe
- Prof. S.H. Bucher: Abgesang und theoretische Grundlagen. http://www.traversin.de/traversin/Redaktion/gestaltgesetze.pdf, 2003.
- Hurni, Andreas: Bildgestaltung - Was ist ein gutes Bild? http://home.datacomm.ch/fotografie/bildgestaltung/theorien.htm, 2003-2005
- Metzger, Wolfgang: Gestaltpsychologie, Frankfurt 1986
- Schulz, Angelika: Interfacedesign: die visuelle Gestaltung interaktiver Computeranwendungen. Röhrig Universitätsverlag St. Ingbert, 1998.
- Zimbardo, Philip & Gerring, Richard: Psychologie. Pearson Studium, 2004.