Interfacedesign: Affektive Aspekte

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Interaction- & Interfacedesign

Um den Begriff Interfacedesign zu erläutern, sollte an dieser Stelle zunächst der übergeordnete Begriff des Interactiondesigns eingeführt werden. Darunter wird "das Designen von interaktiven Produkten, um Menschen in ihrem alltäglichen und beruflichen Leben zu unterstützen" (Sharp. 2007. S.6. Übers. d.A) verstanden. Diese interaktiven Produkte sind technische Geräte, die Menschen täglich nutzen: Mobiltelefone, MP3 Player, DVD Player, Waschmaschinen, Fernseher, Digitaluhren, Navigationssystem, Bankautomaten, ... und natürlich Computer. Der Nutzer interagiert mit dem jeweiligen Produkt über die sogenannte Benutzerschnittstelle, dem Interface. Interfacedesign beschäftigt sich also mit dem Design dieser Benutzerschnittstellen. Es gibt eine goldene Regel für das Design: "understand your material". Deshalb sollte der Designer im Rahmen der Human-Computer Interaction, zum einen den Computer, vor allem aber den Menschen und sein Benutzerverhalten verstehen. („know your user(s)!“)

Definition: Affektive Aspekte

Was bedeutet affektiv? Der Duden gibt folgende Antwort: af|fek|tiv <Adj.> [spätlat. affectivus] (psych.): gefühlsbetont, durch Affekte gekennzeichnet. Diese Definition ist jedoch nicht ausreichend für diese Arbeit. Es wird weiterhin die Erläuterung von „Affekt“ benötigt.

Affekt im Sprachgebrauch

Im Deutschen gibt es den Ausdruck: „im Affekt“ handeln. Gemeint ist damit eine gefühlsbetonte; im Gegensatz zur vernunftsbestimmten Reaktion. Affekt [lateinisch] der, heftige Gemütsbewegung (z. B. Freude, Wut, Begeisterung), die meist mit starken Ausdrucksbewegungen und Veränderungen von Herztätigkeit, Atmung, Gesichtsfarbe verbunden ist. (Meyers Lexikon Online. Affekt.) Die hervorgerufenen Reaktionen können natürlich verschieden stark sein; je nach Temperament.

Affekt im strafrechtlichen Sinn

Die Rechtswissenschaft spricht von einer Affekthandlung, wenn während einer Tat die Subjektivität (= Emotionen ) stärker ist als die Objektivität (=Verstand). Eine Person, handelt im Affekt unüberlegt, spontan und in einem stark gefühlsbetonten Zustand. Eine Tat, die nachgewiesener Maßen im Affekt ausgeführt wird, kann ein geringeres Strafmaß nach sich ziehen; ähnlich wie dies beim Einfluss von Alkohol oder Drogen möglich ist.

Eine kognitions-psychologische Definition

Was geschieht bei einem Menschen in diesem Zustand? Wie entsteht ein solcher Affekt? „Ein Affekt ist eine von inneren oder äußeren Reizen ausgelöste, ganzheitliche psycho-physische Gestimmtheit von unterschiedlicher Qualität, Dauer und Bewusstseinsnähe.“ (Ciompi. 1997. S.67) Forscher der Kognitionspsychologie beschäftigen sich mit Affekten, Emotionen und Gefühlen und ziehen klare Grenzen zwischen den einzelnen Begriffen. In dieser Arbeit können diese Grenzen verschwimmen. Der Fokus liegt eher auf der Anwendung des Begriffs Affekt als auf der philosophischen Auseinandersetzung und Unterscheidung zwischen Emotionen und Gefühlen.

Interfaces und Emotionen

Spontane und geplante Emotionen Im Zeitalter des User-Centered Design stehen sowohl die unmittelbare Situation des Users während der Anwendung, als auch dessen Kognitionen und somit Emotionen im Vordergrund. Daher haben affektive Aspekte eine größere Beachtung in der Forschung bekommen. Donald Norman, der dafür kritisiert wurde, Usability stets unter Ausschluss von Emotionen zu untersuchen, legt mittlerweile seinen Schwerpukt gerade auf diese affektiven Aspekte. Er ist der Meinung, dass „cognitive scientists now understand that emotion is a necessary part of life, affecting how you feel, how you behave, and how you think.“ (Norman. 2004. S. 5) Die affektiven Aspekte von Interfaces beziehen sich daher auf:


- spontane Emotionen, die beim User während der Benutzung entstehen

- geplante Emotionen, die von Interfaces hervorgerufen werden sollen

- demonstrierte Emotionen, des Users oder des Systems


In der Regel sollen Interfaces positive Emotionen hervorrufen. Im Idealfall entsprechen geplante und spontane Emotionen einander. Die Interfaces wurden daher erfolgreich unter Berücksichtigung der affektiven Aspekte designt. Häufig jedoch werden diese Aspekte unterschätzt, sodass geplante und spontane Emotionen voneinander abweichen. Das bedeutet, dass diese Interfaces negative Emotionen hervorrufen, die in der Regel nicht vorher geplant, bzw. nicht in Erwägung gezogen wurden. Nutzer eines Interfaces können dann im Affekt handeln, vor allem, wenn sie stark emotional erregt sind. In der Kognitionspsychologie spricht man in diesem Zusammenhang bei negativen Emotionen von der sogenannten computer rage. Systeme und Benutzer haben durch die Entwicklung expressiver Interfaces die Möglichkeit, Emotionen zu zeigen.

Expressive Interfaces

Mit dem technischen Fortschritt wurden die Interfaces von Computern grafischer und somit benutzerfreundlicher. Computer ohne diese „graphical user interfaces“ (GUI), sind heute kaum noch vorstellbar. Expressive Interfaces benutzen ausdrucksstarke (=expressive) Icons und andere grafische Elemente, um den "emotionalen Zustand" des Systems wiederzugeben (Sharp. 2007. S.143). Der iPod zeigt zum Beispiel eine traurige Version seiner selbst, wenn er durch einen Defekt nicht betriebsbereit ist.

Neben Icons gibt es weitere ausdrucksstarke Möglichkeiten, um dem User Rückmeldungen über den Zustand des Systems zu geben:

- Animationen: Eine bewegte Sanduhr zeigt, dass der Computer gerade einen großen Rechenaufwand betreibt - verbale Hinweise: „You got Mail“ als Benachrichtigung für neue elekronische Post - diverse Sounds: beim Systemstart und der Beendigung, beim Erhalt von Kurznachrichten, bei Fehlern im System

Auch User nutzen expressive Symbole um Auskunft über ihr Gemütszustand zu geben. Instant Messenger geben Anwendern die Möglichkeit, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. ICQ bietet eine Palette von Smilies, die der Verfasser einer Kurznachricht direkt in den Text einbinden kann.

Diese Art des Gefühlsausdrucks begann mit der Erfindung der Emoticons; einer Wortkombination aus: emotion und icon. Sie ergaben sich aus der Aneinanderreihung von Zeichen und Buchstaben und stammen aus der Zeit, als die Einbindung von Grafiken technisch noch nicht möglich war :-(

Gutes Design - positive Emotionen

Das Design eines Interfaces sollte angenehm und benutzerfreundlich sein. Expressive Interfaces sollten so designt sein, dass sie zu positiven Gefühlen beim Nutzer führen. Dieser soll sich wohl fühlen, wenn er mit dem System arbeitet. Die Benutzung soll sogar Spaß machen. Ausdrucksstarke Interfaces informieren über den Zustand des Systems und geben dem User Feedback. Dies kann von Vorteil sein, insofern dieses Feedback sinnvoll ist. Der Benutzer kann so in seiner Arbeit unterstützt werden. Neben diesen möglichen objektiven Vorteilen gibt es auch subjektive. Expressive Interfaces erfordern einen großen Designaufwand. Wird dieser richtig betrieben, können Interfaces optisch sehr ansprechend sein. Dies wiederum kann die Usability positiv beeinflussen. Noam Tractinsky erforschte diese Thematik und fand einen Zusammenhang mit der Attraktivität und der Usability eines Produktes. (Tractinsky. 1997,2000) und überschreibt seine Befunde provokant: „What is beautiful – is usable“ (Tractinsky. 2000).

Schlechtes Design - negative Emotionen

Durch unangebrachtes oder schlecht geplantes Design können beim User negative Emotionen entstehen. Hierfür gibt es eine Vielzahl von Ursachen, z.B. wenn der Nutzer eine simple Aufgabe erwartet und diese plötzlich sehr komplex erscheint. Dies kann passieren, wenn man in einem Textverarbeitungsprogramm beispielsweise die Formatierung ändern möchte. Dies ist theoretisch ein simpler Vorgang. Oft jedoch funktioniert dieses Programm nicht so wie es sollte: Absätze verschwinden oder Aufzählungen werden neu numeriert usw. Der User fühlt sich dann betrogen und überfordert. Dies führt zu negativen Emotionen wie Wut, Ärger und Frustration. Auch vermeintliche Helfer, sog. Companions, können die Ursache negativer Emotionen werden. Hier ist besonders, die wegen seiner Unbeliebtheit zu Prominenz gekommene, virtuelle Büroklammer Clippit von Microsoft Office 97 zu nennen. „Clippy“ ist so programmiert, dass es vor und während der Erstellung eines Dokuments „hilfreiche“ Kommentare gibt und Fragen stellt. Diese Hilfestellungen erscheinen dem Benutzer wiederholt und unaufgefordert. Clippy wirkt daher sehr aufdringlich, störend und kontraprodukitv – da sie den User ursprünglich unterstützen sollte. Darüberhinaus hatte der Nutzer der Office Suite 97 nicht einmal die Möglichkeit Clippy zu deaktivieren. Daher wurde Clippy in diversen Communities kritisiert und verhöhnt . Microsoft reagierte mit der möglichen Aktivierung in Office XP und nahm Clippy letztlich mit Office 2007 ganz aus dem Programm.

Häufige Gründe für negative emotionale Reaktionen

Es gibt verschiedene Gründe, die beim User negative Emotionen und „computer rage“ hervorrufen können. Es folgt eine Auswahl von sieben Möglichkeiten, die den Benutzer frustrieren können.

Das Programm funktioniert nicht oder stürzt ab

Wenn der User ein Programm benutzen möchte, funktioniert es nicht und/oder wird bereits beim Start beendet. Besonders ärgerlich ist die vom Programm selbst veranlasste Beendigung während der Erstellung von Dokumenten. Dies kann zu größter Frustration führen, besonders, wenn für die Erstellung viel Zeit und Aufwand betrieben und eine Sicherung des Arbeitsfortschrittes versäumt wurde. 35% der männlichen Befragten bewerteten die daraus resultierende Frustration maximal (Norman, K. 2005. S.14).

Das System macht nicht, was der User von ihm verlangt

Der Benutzer möchte eine Handlung mit einem System ausführen, ist aber ohne Erfolg, da das System nicht in der erwarteten Weise reagiert. Beim Druckvorgang ist dies oft der Fall, sodass der User die Fassung verliert . Häufig treten bei dieser vermeintlich simplen Aufgabe Probleme auf und der Drucker reagiert überhaupt nicht. Durch wiederholte Druckaufträge des Users kommt es zu einem Aufgabenstau am Drucker. Es liegt jedoch häufig nicht am Gerät selbst, sondern an am Arbeitsspeicher des Computers. Nachdem der Computer diese Aufträge verarbeitet hat, leitet er sie weiter an den Drucker. Der Druck beginnt. Dies beruhigt den User zunächst einmal, doch dann werden alle weiteren Aufträge ausgeführt und für jeden einzelnen Click, den der Benutzer in Rage ausgeführt hatte, erfolgt nun der Druck des kompletten Dokuments. Der Benutzer kommt sich dann doppelt genasführt vor.

Die Nutzererwartungen werden enttäuscht

Dem letzten Beispiel entsprechend können Drucker auf eine andere frustrieren. Vor allem dann, wenn das Druckergebnis nicht den Erwartungen entspricht. Das Dokument muss dann erneut bearbeitet werden, bis der User mit dem Dokument zufrieden ist.

Es ist keine angemessene Hilfe vorhanden

Software-Entwickler versuchen mögliche Nutzerprobleme voraus zu sehen und dem User im Programm eine entsprechende Hilfestellung zu bieten. Dies gelingt jedoch nicht immer, und der User bekommt bei seinem Problem keine adäquate Hilfe. Die generierte Hilfe ist dann oft kein Ausweg, da sie selten auf das spezifische Problem des Nutzers zugeschnitten ist. 30% der befragten User waren „very annoyed“ aufgrund unangemessener Hilfe (Norman, K. 2005. S. 23).

Es kommt zu langen Wartezeiten

Warten kann schnell negative Emotionen hervorrufen. Besonders Systemstarts und Downloads benötigen lange Ladezeiten. Durch die technische Entwicklung von größeren Arbeitsspeichern und Bandbreiten wurden diese jedoch verringert. In der heutigen schnelllebiegen Zeit scheint jedoch mit der Wartezeit auch die Toleranzgrenze zu sinken, so dass Wartezeiten immer noch ein Grund für Frustration sind.

Updates sind erforderlich

Durch die rasante Entwicklung des WWW passiert es häufig, dass Programme nicht mehr auf dem neuesten Stand sind. Dann ist in der Regel ein Download des neuesten Updates erforderlich - vor allem bei Antivirusprogrammen. Die Zeiträume zwischen einzelnen Updates sind nicht festgelegt. Mit steigender Anzahl an Programmen auf dem Rechner steigt natürlich die Zahl der erforderlichen Updates. Dies hat zur Folge, dass zuerst einmal diverse Downloads abgeschlossen und installiert werden müssen, bevor das eigentliche Programm gestartet wird. 25% der weiblichen und 15% der männlichen User empfanden nötige Updates als sehr störend (Norman. 2005. S.29)

Die Fehlernachrichten sind nicht hilfreich

Während der Ausführung eines Programms können unvorhergesehen Probleme entstehen. Dann erscheint dem User eine Fehlernachricht, die Auskunft über das Problem geben soll. Oft sind diese Nachrichten für den User unverständlich und nicht nachvollziehbar, was ebenfalls frustriert. Wenn z.B. während der Erstellung eines Dokuments plötzlich das Programm aufgrund eines illegalen Vorganges, der kryptisch in der Nachricht erklärt wird, beendet werden muss. Daher sollten nach Shneiderman (Shneiderman. 1998) Fehlernachrichten möglichst höflich und präzise formuliert werden und kontextbasierte Hilfe bereitstellen. Außerdem sollten lange Codenummern und Negativsuggestionen wie FATAL, ILLEGAL und ERROR – vor allem in VERSALIEN – vermieden werden.

Frustration und ihre Folgen

Wie bereits beschrieben gibt es eine Vielzahl möglicher Faktoren, die zu negativen Emotionen und damit häufig zu Frustration führen können. Was resultiert aus dieser Frustration?

Die Frustration-Aggressionstheorie von John Dollard

Dollard’s Theorie besagt, dass Frustration bei Menschen zu Aggression führt. Unter Frustration versteht er die Störung einer bestehenden zielgerichteten Aktivität – beispielsweise das Arbeiten am Computer. Diese Frustration führt zu emotionaler Erregung. Eine Möglichkeit, diesen erhöhten Erregungszustand zu reduzieren, bietet das Ausführen aggressiven Verhaltens. Die Person erfährt dann subjektiv eine Art Erleichterung (Dollard et al. 1939). Aggression kann dann durch ein bestimmtes Objekt – z.B. Computer oder Drucker – provoziert werden.

Aggression kann also auch durch schlechtes Produktdesigns entstehen. Die physische oder verbale Misshandlung von Computern oder Mitarbeitern kann zwar evtl. kurzfristig für Erleichterung beim User sorgen, ist auf lange Sicht natürlich sehr unproduktiv und kann zu großem Hardwareverschleiß und gespannten Arbeitsverhältnissen führen... Ist der User erst einmal frustriert, ist es daher schon zu spät. Retrospektiv kann das Design keine Abhilfe leisten. Deswegen sollte der Designer wissen, dass es sehr wichtig ist, ein Interface zu designen, das die Frustration beim User gar nicht erst entstehen lässt oder zumindest möglichst niedrig hält.

Goldene Regeln für gutes Design=

Shneiderman hat Eight Golden Rules of Dialog Design (Shneiderman. 1998. S.72-74) aufgestellt, die vorab Frustration vermeiden sollen:

  • Konsistenz
  • Universelle Benutzbarkeit
  • Informatives Feedback
  • Abgeschlossenheit
  • Fehler vermeiden
  • Umkehrbarkeit
  • Benutzerkontrolle
  • Kurzzeitgedächtnis entlasten

Referenzen

  • Ciompi, Luc. 1997. Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Dollard, J., Doob, L.W., Miller, N.E., Mowrer, O.H. & Sears, R.R. 1939. Frustration and Aggression. New Haven: Yale University-Press.
  • Norman, K. 2005. Computer Rage: Exploring Distributions of Frustration and Dealing with Issues in the Analysis of an Online Survey.[[1]]
  • Norman, D. 2004. Emotional Design. Why We Love (or Hate) Everyday Things. New York: Basic Books.
  • Sharp, H., Rogers, Y. & Preece, J. 2007. Interaction Design: beyond human-computer interaction. 2. Ausgabe. New York: John Wiley.
  • Shneiderman, B. 1998. Designing the user interface. Strategies for effective human-computer interaction. 3. Auflage. New York: Addison-Wesley.
  • Tractinsky, N. 1997. Aesthetics and Apparent Usability: Empirically Assessing Cultural and Methodological Issues. CHI 97 Conference Proceedings, Atlanta, March 22-27. 1997. New York: ACM. S.115-122.
  • Tractinsky, N., Shoval-Katz A. & Ikar, D. 2000. What is Beautiful is Usable. Interacting with Computers. 13(2): S.127-145.