Kooperatives Lernen im Internet
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Der Einzug des Internets in den Bildungssektor war schon Gegenstand vieler Diskussionen. Die Idee das WWW als Lernplattform zu nutzen ist nicht neu und wurde schon vielfach umgesetzt. Diese Tatsache wirft gleichzeitig viele Fragen auf; wie ist der aktuelle Stand der Forschung, welche Qualität haben die Lernumgebungen im Internet, in welchem Verhältnis steht das Internet–basierte Lernen zum herkömmlichen Lernen, werden die alten Lehrformen nur reproduziert oder entstehen völlig neue Lehr- und Lernmethoden, und welche Vorteile bringt das Lernen mit dem neuen Medium mit sich?
"Kooperatives Lernen im Internet" beschreibt ein sehr komplexes und weitreichendes Thema. Unter "kooperativen Lernen im Internet" versteht man das Lernen in Gruppen von zwei oder mehreren Personen unter Zuhilfenahme des Mediums Internet. Dabei gibt es große Unterschiede in der Wahl der internetbasierten Technologien und deren Nutzung, und Unterschiede in der Form und Ausprägung der Zusammenarbeit der jeweiligen Gruppenmitgliedern.
In der Literatur taucht der Begriff "kooperatives Lernen" oft zusammen mit dem Begriff "kollaboratives Lernen" auf oder wird gar mit diesem synonym verwendet.
Kooperatives Lernen vs. kollaboratives Lernen
Zu kooperativem Lernen herrscht ein „begriffliche[r] Wildwuchs“ (ARNOLD 2003). Die Begriffe kooperatives Lernen, kollaboratives Lernen, Gruppenlernen und Teamlernen werden parallel verwendet oder sind zum größten Teil synonym (ARNOLD 2003). Diesen Schluss lassen auch die verwendete Literatur und die vielen Online-Quellen zu.
Kollaboratives Lernen
Im deutschsprachigen Raum werden die beiden Begriffe „kooperative“ und „kollaborative“ synonym verwendet. Eine Ausnahme bildet lediglich die Verwendung der Begriffe „cooperative“ und „collaborative“ in der englischsprachigen Forschung, wo nämlich, so erklärt Patricia ARNOLD, zwischen beiden Begriffen unterschieden wird. Hierbei ist der Grad der Arbeitsteilung und der Zusammenarbeit ausschlaggebend. Beim „collaborative Learning“ herrscht demnach eine sehr enge Zusammenarbeit, die auf einer geringen Arbeitsteilung basiert, d.h. es wird sehr wenig individuell gearbeitet.
Die Gruppe von Lernenden verfolgt zusammen das Ziel, einen gemeinsamen Wissensstand zu erarbeiten. Dies geschieht natürlich dann am besten, wenn sich alle Teilnehmer auf derselben Stufe des Wissens, das zum Lösen eines gewissen Problems benötigt wird, befinden, bzw. ein gemeinsames Verständnis der vorliegenden Aufgabe aufweisen. REINMANN-ROTHMEIER & MANDL (2002) geben folgende Definition dazu:
„Der Begriff „Kollaboration“ ist im Deutschen zwar durch den Zwieten Weltkrieg negativ belegt, hat sich jedoch in deutschsprachigen Publikationen zu kollaborativem Lernen fest etabliert und fungiert als direkte Übersetzung des englischen Begriffs „collaboration“. Was Kollaboration von Kooperation in der englischsprachigen Literatur unterscheidet, ist die Akzentuierung der Wissensteilung und der gemeinsamen Wissenskonstruktion gegenüber der bei der Kooperation fokussierten Arbeitsteilung.“
Auch hier werden wieder die Wissensteilung und die gemeinsame Wissens-konstruktion als Maß für den Grad der Unterscheidung herangezogen. ROSCHELLE & BEHREND (1995, S.70) definieren „kollaboratives Lernen“ wie folgt:
„Collaboration is a coordinated, synchronous activity that is a result of a continued attempt to construct and maintain a shared conception of a problem.”
Kooperatives Lernen
Das „kooperative Lernen“ hingegen beschreibt die Variante, bei der eine Zusammenarbeit mit einer hohen Arbeitsteilung im Fokus liegt, d.h. der Grad der individuellen Arbeit kann durchaus variieren. Es muss nicht unbedingt ein gemeinsames Ziel verfolgt werden, sondern die Gewichtung liegt eher auf der Interaktion der Gruppenmitglieder miteinander. Zwei oder mehrere Personen können sich zum gemeinsamen Lernen zusammenfinden, obwohl sie sich nicht auf derselben Erkenntnisstufe befinden. Das gemeinsame Lernen kann in diesem Fall ein Projekt sein, an dem jeder zu einem unterschiedlichen Teil sein Wissen beisteuert. Die individuelle Teilnahme kann folglich stark variieren.
DILLENBOURG (1999a):
„Kooperatives Lernen ist eine Situation, in der zwei oder mehr Menschen zusammen lernen oder dies anstreben“.
Der große Unterschied zwischen den beiden Begriffen wird also deutlich sichtbar. ARNOLD (2003) bemerkt:
„Entsprechend werden alle Formen kooperativen Lernens, unabhängig vom Grad der Arbeitsteilung und Strukturiertheit mit „kooperativ“ als integrierendem Oberbegriff für verschiedene Arten des gemeinsamen Lernens in Teams, Gruppen oder größeren Gemeinschaften bezeichnet“.
Da die Unterscheidung zwischen kooperativen Lernen und kollaborativen Lernen leicht nachvollziehbar und klar verständlich ist, wirft diese Definition einen Punkt der Kritik auf. Um wissenschaftlich klare Aussagen treffen zu können, muss klar und trennscharf zwischen beiden Begriffen unterschieden werden können. Da die Lerngemeinschaften sich nach Form, Größe und Intention unterscheiden, sind sie leicht als kooperativ oder kollaborativ einzuteilen. Abschließend bleibt zu sagen, dass eine Differenzierung hinsichtlich der beiden Begriffe nicht nur im Englischen sinnvoll erscheint.
Die Lerntheoretischen Ansätze
Patricia ARNOLD entscheidet sich „[v]on den zahlreichen Ansätzen zur theoretischen Modellierung menschlicher Lernprozesse“ für die „subjektwissenschaftliche Lerntheorie“ HOLZKAMPs (1993) und den „Ansatz des situierten Lernens in ‚Communities of Practice’“ nach LAVE & WENGER (LAVE & WENGER 1991, WENGER 1998) als heuristischen Rahmen Ihrer Untersuchung. Die Wahl dieser beiden lerntheoretischen Ansätze wird in ihren jeweiligen Ansätzen begründet. Beide sehen den Prozess des Lernens aus der Perspektive der Lernenden und weniger aus der Sicht der Lehrenden. HOLZKAMPs Theorie vernachlässigt die Gruppensituation und die Sicht des Individuums dominiert zu stark. Aus diesem Grund wird eine weitere Lerntheorie hinzugezogen, die von LAVE & WENGER. Sie beschreibt das „Lernen von und miteinander“ in „Communities of Practice“.
Die „subjektwissenschaftliche“ Lerntheorie
Der erste Lerntheoretische Ansatz ist der subjektwissenschaftliche von Holzkamp. Dieser Ansatz bietet einen Zugang zum Lernen der folgerichtig die Sicht der Lernenden und nicht die der Lehrenden in den Mittelpunkt stellt.
HOLZKAMPs Sicht auf die Lernenden ist von einem hohen sozialen Charakter geprägt. Um seine Lerntheorie besser verstehen zu können, ist es notwendig diese richtig einzuordnen. Die bekanntesten Lerntheorien sind die behavioristische, die kognitivistische und die konstruktivistische. Allen gemein ist der Versuch durch verschiedene Theorien und Thesen die Lernprozesse die in uns Menschen vorgehen, zu erklären und dafür Regeln aufzustellen.
Die behavioristische Lerntheorie benutzt das Stimulus-Response-System des Menschen auch besser bekannt als das Reiz-Reaktions-Schema. Diese Theorie erinnert stark an die klassische Konditionierung und an den bekannten Pawlow’schen Hund (GUDJONS, 2001, S. 213-219). Die kognitivistische Lerntheorie hingegen betrachtet die Denkvorgänge beim Lernenden. Sie versucht herauszufinden was in dem jeweiligen Individuum passiert und wie seine Denkstrukturen sich verändern. Die letzte Lerntheorie ist der konstruktivistische Ansatz. Dieser beschreibt eher die Handlungsorientierte Sicht des Lernens. Der Mensch konstruiert selbst sein Wissen. Im Rahmen einer Lerngruppe lernt also nur derjenige, der zu seinem vorhandenen Wissen etwas Neues hinzufügen kann. Für den Fall des Lehrens in gewöhnlichen Klassenräumen stellt dies natürlich eine große Herausforderung für den Lehrenden da. Er müsste die konkrete Situation jedes seiner Schüler erkennen, um dann individuell an dessen schon vorhandenes Wissenskonstrukt neue Erkenntnisse hinzuzufügen. Wie oben schon besprochen, passt dieser Ansatz zum „kollaborativen Lernen“, da dort auch das „Wissenkonstrukt“ am Ende des Lernprozesses steht.
HOLZKAMPs subjektwissenschaftliche Lerntheorie berücksichtigt, wie schon erwähnt, insbesondere die individuellen gesellschaftlichen Lebensverhältnisse des Lernenden. Bei ihm stehen die soziale und gesellschaftliche Vermitteltheit im Mittelpunkt. Er bestärkt die Tatsache, dass der Bezug zwischen Lernen und Handeln im gesellschaftlichen Kontext sehr eng sein muss. Das Lernen wird also von der Handlungsmotivation stark beeinflusst, d.h. wenn der Lernende auf eine Situation oder ein Problem stößt, für dessen Bewältigung sein momentanes Wissen nicht ausreicht, ist er durch die Erfahrung, dass Lernen und die damit verbundene Aneignung von Wissen ihm bessere Handlungsmöglichkeiten eröffnen, stärker motiviert zu Lernen. In diesem Sinn unterscheidet Holzkamp vier verschiedene Arten von Lernen:
1. Inzidentales Lernen 2. Intentionales Lernen 3. Expansives Lernen 4. Defensives Lernen
Inzidentales Lernen beschreibt lediglich das beiläufige Lernen. Das Intentionale Lernen beschreibt die Situation, in der der Lernende auf eine Handlungsproblematik trifft, zur dessen Bewältigung sein Wissen nicht genügt. Beim Expansiven Lernen ist der Lernende durch die Erfahrung, dass Wissen zu besseren Handlungsmöglichkeiten führt, motiviert mehr zu lernen. Defensives Lernen erfolgt nur, um Tadel oder sonstige Zurechtweisung zu vermeiden und nicht aus eigenem Anstoß.
Der Ansatz des situierten Lernens in „Communities of Practice“
Der Lerntheoretische Ansatz des situierten Lernens in Communities of Practice stammt von LAVE & WENGER. Er bezieht seinen Namen aus der „Situierung der Denk- und Lernvorgänge in der sozialen Praxis“ (ARNOLD 2003, 78). Soziale Praxis bedeutet hier, dass die Untersuchungen nicht im Umfeld eines Labors stattfinden, sondern dass es sich um eine authentische Problemsituation handelt, zu deren Lösung aktives Handeln erforderlich ist. Eines der wichtigsten Aspekte bei diesem lerntheoretischen Ansatz ist das Lernen von und mit anderen Lernenden. Das Lernen wird, eingebettet in die jeweilige Lernkultur untersucht. Um die Argumentation von LAVE & WENGER nachvollziehen zu können, ist es essentiell, den Begriff der Communities of Practice zu verstehen.
Communities of Practice kurz CoPs sind nach WENGER grundlegend selbst organisierte Systeme, die Wissen in lebendiger Form speichern. Laut HINKELMANN sind CoPs über einen längeren Zeitraum bestehende Personengruppen, die aus verschiedenen hierarchischen Ebenen und funktionalen Bereichen einer Organisation stammen. Communities of Practice bilden eine offene, weisungsunabhängige und sich organisch entwickelnde Gruppe. Die Mitglieder einer CoP nehmen immer auf freiwilliger Basis teil. CoPs divergieren hinsichtlich ihrer Größe, Lebensdauer, Verteiltheit (geographisch) und des Grades der Homogenität der Mitglieder. Sie sind Knotenpunkt für den Austausch und der Interpretation von Informationen. Die Mitglieder einer CoP nehmen also freiwillig an einem Projekt teil, wobei der Grad der Teilnahme je nach Erfahrung und Zeit, die schon in der Gruppe verbracht wurde, variieren. Bei dieser Form der Partizipation spricht man von der „legitimen peripheren Partizipation“. Es ist also nicht abträglich, wenn Novizen nur zu einem gewissen Grad an der CoP teilnehmen. Mit der Zeit steigert sich die Mitarbeit dieser Teilnehmer und am Ende des Lernprozesses steht die volle Partizipation.
Eine andere sehr wichtige Eigenschaft einer CoP ist das Lernen von und mit anderen Lernenden. Es herrscht folglich keine starke Asymmetrie hinsichtlich der Handlungskompetenz der Mitglieder, anders als in den tradierten Lerngefügen der Schule. Die Lernenden verfolgen alle dasselbe Ziel und arbeiten eng zusammen, um dieses zu erreichen.
Abschließend ist noch zu beiden lerntheoretischen Ansätzen zu sagen, dass ihnen die Betrachtung aus sozialer Sicht und die Forderung, Lernen unabhängig von Lehren zu untersuchen gemein sind. Mit dieser Forderung drängen beide Ansätze auf einen Perspektivenwechsel in der Forschung hin. Ein anderer wesentlicher Aspekt den beide Ansätze gemein haben, ist die Erhebung des Aktes des Handelns zu einem der wichtigsten Punkte in ihrer Argumentation.