Thesaurus
Inhaltsverzeichnis
Definition
„Ein Thesaurus im Bereich der Information und Dokumentation ist eine geordnete Zusammenstallung von Begriffen und ihren (vorwiegend natürlichsprachigen) Bezeichnungen, die in einem Dokumentationsgebiet zum Indexieren, Speichern und Wiederauffinden dient.“ Kks 141
„Im IuD-Bereich versteht man unter einem Thesaurus eine natürlichsprachig-basierte Dokumentationssprache zur inhaltlichen Feinerschliessung. Sie enthält eine geordnete Zusammenstellung von Begriffen und Benennungen, die zum Indexieren, Speichern und Wiederauffinden dokumentarischer Bezugseinheiten dient.“
Betram 209
Merkmale
Ein Thesaurus wird nach Burkhart durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
- Begriffe und Beziehungen werden eindeutig aufeinander bezogen („terminologische Kontrolle“), indem
- Synonyme möglichst vollständig erfasst werden
- Homonyme und Polyseme besonders gekennzeichnet werden
- Für jeden Begriff eine Bezeichnung (Vorzugsbenennung, Begriffsnummer oder Notation) festgelegt wird, die den Begriff eindeutig vertritt
- Beziehungen zwischen Begriffen (repräsentiert durch ihre Bezeichnungen) werden dargestellt
- Der Thesaurus ist präskriptiv, indem er für seinen Geltungsbereich festlegt, welche begrifflichen Einheiten zur Verfügung gestellt werden und durch welche Bezeichnungen diese repräsentiert werden.
KKS 141
Wortherkunft und Entstehungsgeschichte
Ursprünglich bezeichnete der aus dem griechischen stammende Begriff „Thesaurus“ einen Ort zum Einsammeln und Aufbewahren von Schätzen und Weihgaben. Im Bereich der Sprachwissenschaften versteht man zur heutigen Zeit ein Synonymwörterbuch. Bertram 209
De Entwicklung von Thesauri wurde in der Mitte des 20. Jahrhunderts von der Motivation getrieben, sich von der starren und unflexiblen Präkombination abzuwenden und stattdessen eine benutzerfreundliche, natürliche Sprache zu verwenden. Schnell stellte sich das Bedürfnis nach einer Feinerschliessung von Dokumentbeständen in den Vordergrund, die eine Klassifikation nicht leistet. Durch die Entwicklung moderner Informationstechnologien wurde die physische Bindung der Erschliessung zu lösen und anstelle dessen digitale Stellvertreter zu verwenden. Dies erlaubte den polydimensionalen Zugriff auf Inhalte von Dokumenten, was die Vergabe von mehreren Indextermen in einem sinnvollen Rahmen ermöglichte. Betram 217
Thesaurusaufbau
Zur Erstellung eines Thesaurus ist es notwendig den Bezugsrahmen einzugrenzen, denn ein Thesaurus kann den Anforderungen bezüglich Eindeutigkeit, Verbindlichkeit und Übersichtlichkeit nur dann gerecht werden, wenn der entsprechende Sachverhalt klar umrissen ist. Es ist also sinnvoll, sich auf einen bestimmten, überschaubaren Gegenstandsbereich zu beziehen, und Spezifitätsgrad (Allgemein vs. Speziell), Sprachstil (Wissenschaftlich vs. Allgemein) und Umfang zu konkretisieren.
Wenn die Rahmenbedingungen festgelegt sind, wird anhand geeigneter Quellen (z.B. Experten, Fachliteratur, Fachwörterbücher, bereits existierende Thesauri, etc.) eine Wortgutsammlung erstellt. (Quelle: Burkart, S 141f)
Terminologische Kontrolle
Da in der erstellten Wortgutsammlung noch Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten aus der natürlichen Sprache enthalten sind, ist die terminologische Kontrolle unerlässlich für die Eindeutigkeit der Beziehung zwischen Bezeichnungen und Begriffen. Die terminologische Kontrolle erfolgt durch die Synonymkontrolle, die Polysemkontrolle und die Zerlegungskontrolle. Burkhart 142
Synonymkontrolle
Bei der Synonymkontrolle sollen alle als Synonym erkannten Begriffe einer Äquivalenzklasse zugeordnet werden; d.h. es werden alle Bezeichnungen in einer Äquivalenzklasse zusammengefasst, die den gleichen Begriff repräsentieren.
Vollständige Synonymie:
Photographie – Fotografie
Frisör – Friseur
Unterschiedliche Konnotationen:
Pferd – Gaul
Samstag – Sonnabend
Pars pro toto Übertragung:
Rundfunk – Hörfunk
Quasi – Synonyme:
Härte – Weichheit
Wohnen - Wohnung
Burkhart 143, betram 220
Homonym- und Polysemkontrolle
Die Homonym- und Polysemkontrolle macht mehrdeutige Benennungen eindeutig. Dieser Vorgang wird als Disambiguierung bezeichnet. Hier werden Bezeichnungen, die unterschiedliche Bedeutungen aufweisen, differenziert und verschiedenen Fachgebieten zugeordnet. Dazu kann nur eine Bedeutung beibehalten werden und die anderen explizit exkludiert werden oder das Homonym/Polysem wird durch eine eindeutige Benennung ersetzt. Als weiteres Vorgehen wird das Anfügen eines Homonymzusatzes verwendet.
Schloss (Gebäude) - Schloss (Schließmechanismus)
Hahn (Haustier) - Hahn (Wasserhahn) - Hahn (Wetterhahn) Burkhart 143-144 Bertram 219
Zerlegungskontrolle
Die Zerlegungskontrolle betrifft Komposita; hier wird zwischen der morphologischen Zerlegung und der semantischen Zerlegung unterschieden.
Bei der morphologischen Zerlegung wird ein zusammengesetztes Wort in seine Grundwörter aufgeteilt:
arbeit , -er, -en, -barkeit, etc
Bei der semantischen Zerlegung wird ein Begriff in seine Begriffsteile zerlegt. Diese Begriffsteile werden durch im Thesaurus vorhandene Bezeichnungen ausgedrückt
Kaffetasse Kaffe + Tasse Burkhart 144
Vor- und Nachteile einer Begriffszerlegung
Die Zerlegungskontrolle ist insbesondere in der deutschen Sprache, welche nahezu unendliche Wortkombinationen zulässt ein zentrales Problem. Da dies grosse Auswirkungen auf den Aufbau eines Thesaurus hat, stellt sich oft die Frage, ob eine Zerlegungskontrolle entsprechende Vorteile birgt. Nachfolgend sollen daher die Vor- und Nachteile einer Begriffszerlegung aufgeführt werden.
Vorteile
- zusätzliche sprachliche Einstiegsmöglichkeiten
- erhöhte Vergabehäufigkeit der Deskriptoren
- schlankes Gebrauchsvokabular
Nachteile
- Gefahr von Fehlverknüpfungen
- Komplexere Thesaurusstruktur
- Höhere Anforderungen an Indexierer
- Begriffliche Beziehung zu Deskriptoren weniger gut möglich
Bertrem 220- 222
Thesaurusvokabular
Die aus der terminologischen Kontrolle entstandenen Begriffseinheiten werden als Äquivalenzklassen bezeichnet. Die Darstellung der Äquivalenzklassen kann in einem Thesaurus unterschiedlich sein. Bei einem Thesaurus ohne Vorzugsbenennung sind alle Elemente einer Äquivalenzklasse uneingeschränkt für Indexierung und Retrieval verwendbar. In Gegensatz dazu wird bei einem Thesaurus mit Vorzugsbenennung wird ein Element der Äquivalenzklasse als Vorzugsbenennung ausgewählt und als Deskriptor bezeichnet. Deskriptoren sind Schlagworte, die im Thesaurus enthalten und zur Indexierung zugelassen sind. Burkhart 145
Der Deskriptor ist ein aktives Element. Es ist genormt und terminologisch kontrolliert, somit ist es für die Indexierung und das Retrieval zugelasen und verbindlich. Nicht-Deskriptoren sind passive Elemente. Sie stellen Benennungen dar, welche im Thesaurus enthalten aber nicht zur Indexierung zugelassen sind. Bertram210
Im Bezug auf den Thesaurus stellen die Deskriptoren dessen Gebrauchsvokabular, die Nicht-Deskriptoren dessen Zugangsvokabular dar. Benennungen, welche bisher fehlen und bei welchen unklar ist, ob und mit welchem Status sie in den Thesaurus aufgenommen werden in ihrer Gesamtheit als Kandidatenvokabular bezeichnet. Bertram 210-211 GRAFIK s.211
Relationen
Die Relationen begründen die Struktur des Thesaurus. Sie stellen die Beziehungen zwischen den einzelnen Äquivalenzklassen dar. Dadurch entsteht ein semantisches Netz über den gesamten Thesaurus, das durch Querbeziehungen zu anderen ähnlichen oder verwandten Begriffen verweist und zu besseren Ergebnissen bei Indexierung und Information Retrieval führt. Hierbei wird zwischen der Äquivalenzrelation, der Hierarchierelation, der Assoziationsrelation und der Begriffskombinationen unterschieden.
Äquivalenzrelation
Bei der Äquivalenzrelation werden Bedeutungen als gleichwertig aufgefasst und Bezeichnungen zu Äquivalenzklassen zusammengeführt.
Äquivalenzrelation
Sonnabend | BS | Samstag |
Naturwissenschaft | BSU | Chemie, Biologie |
BS = Benutze Synonym
BSU = Benutze spezifischen Unterbegriff
Burkahrt 147-148
Hierarchische Relation
Die hierarchische Relation drückt ein Über- und Unterordnungsverhältnis der Begriffe aus.
Generische Relation (Abstraktionsfunktion)
Kraftwagen | UB | Personenkraftwagen |
Lastkraftwagen | OB | Kraftwagen |
Partitive Relation (Bestandsrelation)
Auto | TP | Automotor |
Karosserie | SP | Auto |
UB = Unterbegriff
OB = Oberbegriff
TP = Teilbegriff
SP = Verbandsbegriff Burkhart 148-149
Assoziationsrelation
Bei der Assoziationsrelation werden alle Relationen zwischen Begriffen erfasst, die weder eindeutig hierarchischer Natur sind, noch als äquivalent betrachtet werden können
Obst | VB | Obstbaum |
Hitze | VB | Kälte |
Vater | VB | Sohn |
VB = Verwandter Begriff Burkhart 149
Begriffskombination
Bei der Begriffskombination wird eine Schnittmenge zwischen den Deskriptoren zweier Äquivalenzklassen erzeugt.
Botschftsgebäude | BK | Verwaltungsgebäude, diplomatische Vertretung |
Verwaltungsgebäude | KB | Botschaftsgebäude |
diplomatische Vertretung | KB | Botschaftsgebäude |
BK = Benutze Kombination
KB = Kombinationsbegriff
Burkhart 149-150
Thesauruspflege
Damit ein Thesaurus seinen Anforderungen gerecht bleiben kann, ist eine ständige Beobachtung der Entwicklung der Forschungsschwerpunkte des jeweiligen Fachs notwendig; dazu gehören z.B. die:
- Beobachtung der fachsprachlichen Entwicklung
- Beobachtung des Indexierungsverhaltens/der Indexierungsergebnisse
- Beobachtung des Benutzerverhaltens und der Rechercheergebnisse
Burkart, S.151
Normen
Für Thesauri existieren verschiedene Normen. Nennenswert sind vor allem die Norm DIN 1463 („Erstellung und Weiterentwicklung von Thesauri“) sowie die ISO-Normen 2788 und 5964 („Guidelines for the establishment and development of multilingual thesauri“). Bertram 219
Thesaurussoftware
Obwohl die Erstellung eines Thesaurus nach wie vor eine hauptsächlich intellektuelle Tätigkeit ist, so kann diese durch Software erheblich unterstützt und erleichtert werden. Ein wesentlicher Vorteil ist hier die automatische Generierung von reziproken Begriffsbeziehungen sowie automatischen Konsistenzprüfungen. Bekannte Vertreter sind hier unter anderem:
- Oracle Thesaurus Management
- MIDOS
- ThesaurusMaster
- STRIDE
- Synaptica
- a.k.a. Library
Bertram 230-232 http://www.asindexing.org/about-indexing/thesauri/thesaurus-management-software/
Quellen
Weiterführende Literatur
- Virtuelles Handbuch Informationswissenschaft: http://is.uni-sb.de/studium/handbuch/infoling/thesnlp
- Wersig, G. (1985): Thesaurus-Leitfaden. Eine Einführung in das Thesaurus-Prinzip in Theorie und Praxis. München et al.: K.G. Saur
Weblinks
- ISO 5964: http://www.iso.org/iso/catalogue_detail.htm?csnumber=12159
- Normdaten-Standards: https://wiki.dnb.de/display/DINIAGKIM/Normdaten-Standards
- MIDOS: http://www.progris.de/m6info/index.htm
- Oracle Thesaurus Management: http://www.oracle.com/us/products/applications/health-sciences/e-clinical/thesaurus-management/index.html
- ThesaurusMaster: http://www.dataharmony.com/services-view/thesaurus-master/
- STRIDE: http://www.questans.co.uk/p100l2.html
- Synaptica: http://www.synaptica.com/
- a.k.a. Library: http://www.a-k-a.co/index.php/aka-library/