Multimediapsychologie: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 18. Mai 2007, 08:22 Uhr
Inhaltsverzeichnis
- 1 Begriffserklärung
- 2 Die sensorische Wahrnehmung
- 3 Gedächtnismodelle
- 4 Das Modell der doppelten Enkodierung nach Paivio
- 5 Mentale Modelle
- 6 Theoretischer Rahmen für das Verstehen von Multimedia nach Hasebrook
- 7 Hypertext und Multimedia
- 8 Adaptive Lernsysteme / Intelligente tutorielle Lehrsysteme
- 9 Empfehlungen für die Gestaltung multimedialer Systeme im Lehr-Lern-Bereich
- 10 Empfehlungen aus der Usability-Forschung
- 11 Zusammenfassung
- 12 Quellen
Begriffserklärung
Multimedia
Der Begriff „Multimedia“ hat eine umfassendere Bedeutung als etwa nur „viele Medien“. Er zeichnet sich besonders durch drei Eigenschaften aus, welche von Vath, Hasselhorn und Lüer im Jahr 2001 in Form der folgenden Definition zusammengefasst wurden:
„Multimedia ist dadurch gekennzeichnet, dass in einem System Informationen
- multimedial […]
- multikodal […] und
- multimodal […]
präsentiert werden, die anwendergesteuert interaktiv genutzt werden können.“ (vgl. Vath, Hasselhorn, Lüer, 2001).
Multimediapsychologie
Multimedia hat also Auswirkungen auf die Art und Weise wie Informationen verarbeitet werden. Eine mögliche Beschreibung für Multimediapsychologie besagt daher:
„Multimediapsychologie hat mit Verstehen, Lernen und Wissenserwerb in Verbindung mit Multimedia bzw. mit einem einzelnen neuen Medium […] zu tun […].“ (vgl. Luckhardt).
Die Multimediapsychologie erforscht Gestaltungsprinzipien (multi-)medialer Systeme zur effektiven Informationsaufnahme, -verarbeitung, und -speicherung.
siehe auch => Informationsrezeption
Die sensorische Wahrnehmung
Bevor hier genauer auf spezielle multimediapsychologische Aspekte eingegangen wird, sollen zunächst einige grundlegende Vorgänge der Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung betrachtet werden.
Die sensorische Wahrnehmung bezeichnet das reine Erfassen von Umwelteindrücken über die Sinnesorgane.
Visuelle Wahrnehmung wird häufig mit den Vorgängen einer Kamera verglichen. Licht eines Gegenstands gelangt durch Pupille und Linse zur Netzhaut, wo ein um 180° verdrehtes Bild auf der Netzhaut abgebildet wird. Dieser Reiz wird über den Sehnerv an das Gehirn weitergeleitet, welches das Bild in seine ursprüngliche Position rückt.
Ähnlich ist es bei der auditiven Wahrnehmung, bei der Schwingungen über verschiedene Gehörknöchelchen zum Hörnerv und dann zum Gehirn gelangen.
Das Entscheidende für eine weitere Informationsverarbeitung geschieht unmittelbar nach dieser rein sensorischen Wahrnehmung. Es bleibt nicht bei einer Wahrnehmung einfacher Eindrücke, sondern es kommt zu einer psychologischen Weiterverarbeitung:
Das Gehirn führt eine Interpretation des Wahrgenommenen durch. Man hört also nicht nur ein Geräusch auf der Straße, sondern weiß, dass es sich um ein Fahrzeug handelt. Man sieht nicht ein zweidimensionales Geflecht von Linien, sondern weiß, dass es sich um die dreidimensionale Zeichnung eines Würfels handelt.
Diese Interpretationen werden also von unserem Vorwissen bestimmt und führen zu kulturell bedingten Schemata in der sensorischen Wahrnehmung (vgl. Hasebrook, 1995).
Wie wird nun entschieden, welche Eindrücke mehr oder weniger weiterverarbeitet und dauerhaft gespeichert werden?
Durch das Vorwissen erkennt man die Bedeutung eines Umwelteindrucks. Wenn dieser Umwelteindruck nun für jemanden besondere Relevanz hat, wird dieser Eindruck zu potentieller Information. Falls diese Information auch weiterhin als wichtig erachtet wird, so kommt es zu einer dauerhaften Speicherung (vgl. Anderson, 1996).
Wie diese einzelnen Vorgänge in der Informationsspeicherung beschrieben werden, soll im nächsten Abschnitt anhand zweier Gedächtnismodelle erläutert werden.
Gedächtnismodelle
Das drei-Speicher-Modell (1968)
Ein richtungweisender Theorierahmen zur Informationsspeicherung wurde von Atkinson und Shiffrin entwickelt.
Sie unterteilen das Gehirn in drei Speicher:
- das sensorische Gedächtnis
- das Kurzzeitgedächtnis (KZG)
- das Langzeitgedächtnis (LZG)
Das Arbeitsspeichermodell (1974)
Eine verfeinerte Weiterentwicklung dieses Modells findet sich bei Baddeley und Hitch, welche die Aktivitäten bei der Speicherung von Informationen auf folgende Elemente verteilen:
Die entscheidende Neuerung besteht also aus zwei getrennten Kurzzeitspeichern, einen für räumlich-visuelle und einen für sprachlich-akustische Information. Zu dieser Erkenntnis gelangten Baddeley und Hitch indem sie Versuchspersonen parallel jeweils eine Aufgabe stellten, die den einen der beiden, und eine Aufgabe, die den anderen Speicher beanspruchte. Man stellte fest, dass es dadurch zu Interferenzen zwischen den beiden Aufgaben kam. Die Versuchspersonen konnten sich also nicht auf beide Aufgaben gleichzeitig konzentrieren. Daraus schloss man auf einen getrennten Kurzzeitspeicher. (vgl. Anderson, 1996)
Man kann durch diese beiden Modelle nun also einige zentrale Vorgänge in der Informationsverarbeitung und -speicherung festhalten:
- Eine sensorische Wahrnehmung wird durch Aufmerksamkeit, in Form von subjektiver Relevanz, zu potentieller Information.
- Diese Information wird in zwei getrennten Kurzzeitspeichern aufrechterhalten (räumlich-visuell / sprachlich-akustisch).
- Durch die Verknüpfung mit der bestehenden kognitiven Struktur wird die Information dauerhaft gespeichert und somit enkodiert.
Die Speicherung von Informationen führt zum Aufbau eines Wissensnetzwerkes, bei dem die einzelnen Informationen miteinander verknüpft sind. Zu der Frage, wie diese Informationen miteinander verbunden sind, gibt es mehrere Antworten. So eschreibt eine Theorie die Möglichkeit einer hierarchischen Struktur des Wissens, also in Form von Oberbegriffen und immer spezifischer werdenden Unterbegriffen (Bsp.: Tier – Säuger – domestiziert – Hund – Dackel). (vgl. Anderson, 1996)
Das Modell der doppelten Enkodierung nach Paivio
Hier soll nun ein richtungweisendes multimediapsychologisches Modell vorgestellt werden, welches in seiner ursprünglichen Form stark kritisiert wurde, dessen Hauptaussage jedoch immer noch anerkannt ist. Es handelt sich um die 1971 von Paivio entwickelte Theorie der dualen Enkodierung, welche folgendes besagt:
Es gibt zwei getrennte Gedächtnissysteme; eines für textbasierte und eines für bildbasierte Inhalte.
Zu dieser Theorie kam Paivio durch die Überlegung, dass Bilder nicht wie ein Text gelesen werden können. Ein Text wird Wort für Wort, Zeile für Zeile, praktisch „von links oben nach rechts unten“ gelesen. Dadurch entsteht eine propositionale Textrepräsentation im Gehirn.
Im Gegensatz dazu werden Bilder eher als Ganzes betrachtet und dementsprechend analog im Gehirn repräsentiert. (vgl. Hassebrook, 1995, 2001)
Daraus schließt Paivio, dass es zwei getrennte Langzeitspeicher geben muss:
- einen für sprachlich-sequentielle Information und
- einen für bildlich-analoge Information.
Zur Verdeutlichung ein Beispiel:
Ein Mensch liest das Wort „Hund“. Folgende Prozesse laufen nun nach Paivio ab:
- der Wortgehalt, also die Buchstabenfolge, die „Hund“ ergibt, wird sequentiell-analog enkodiert, und zwar in Form von Logogenen (verbalen Informationseinheiten)
- gleichzeitig wird ein dazugehöriges Bild enkodiert, in diesem Fall also das (für diese Person typische) Bild eines Hundes, welches in Form von Imagenen (nicht verbalen Informationseinheiten) verarbeitet wird
- Falls diese Person das Bild eines Hundes sieht, wird ebenfalls eine dazugehörige Wortbedeutung enkodiert; es handelt sich also um den gleichen Vorgang in umgekehrter Reihenfolge.
Ausnahme: Das dargebotene Wort ist derart abstrakt, dass kein Bildsymbol gefunden wird (Bsp.: „Kognition“) oder das dargebotene Bild lässt auf keine eindeutige Wortbedeutung schließen.
Paivio konnte in Experimenten nachweisen, dass sich tatsächlich ein Bildüberlegenheitseffekt einstellte. (vgl. Hasebrook, 1995)
Aber wie kommt es zu dieser verbesserten Erinnerungsleistung?
Nach Paivio besitzt ein Mensch also ein verbales System, in dem räumlich-sequentielle Informationen verarbeitet und gespeichert werden, und ein nicht-verbales System, welches für bildlich-analoge Informationen zuständig ist. Paivio nennt die Informationseinheiten Logogene (verbal) und Imagene (nicht-verbal). Zum Bildüberlegenheitseffekt kommt es nun dadurch, dass semantisch verwandte Informationen aus den beiden Systemen (im oben genannten Beispiel: das Wort „Hund“ und das dazugehörige Bild) durch eine Interlingua mittels Querverbindungen verknüpft werden und somit praktisch eine größere Gedächtniskapazität zur Verfügung steht und genutzt wird.
An diesen letzten Darstellungen werden auch recht schnell die Hauptkritikpunkte ersichtlich:
- Teile des Modells sind zu abstrakt, um empirisch belegt werden zu können und sind somit nur reine Spekulation.
- Dies bezieht sich besonders auf die Art und Weise, die zuvor doppelt enkodierte Information wieder zu verbinden. Was ist die Interlingua? Wie entstehen die Querverbindungen? Warum werden Informationen zuerst aufgesplittet und dann wieder zusammengeführt? Diese Punkte können durch Paivios Theorie nicht geklärt werden.
Über die kritisierten Aspekte und deren bessere Erklärung herrscht auch heute noch eine allgemeine Unklarheit. Es gibt dennoch einige alternative Lösungsansätze. So hat Hasebrook die Theorie des Sequenzeffekts beschrieben, um nur ein Beispiel für einen Alternativvorschlag zu nennen. (vgl. Hasebrook, 1995)
Mentale Modelle
Aus dem Dilemma, dass keine empirisch verankerte Erklärung existiert die erklärt, warum sich textbasierte und bildbasierte Information ergänzen und somit zu einer verbesserten Gedächtnisleistung führen, flüchteten sich viele Wissenschaftler in eine andere Notlösung, die ebenfalls einen abstrakten Charakter aufweist, jedoch auch heute noch anerkannt ist. Diese Theorie der mentalen Modelle soll im folgenden Abschnitt näher beschrieben werden.
In dieser Theorie sollen nun zwei Aspekte, über die Unsicherheit herrscht, geklärt werden. Zum einen sollte erläutert werden, wie sprachlich-sequentielle und räumlich-analoge Information miteinander verbunden werden. Des Weiteren sollte diese theoretische Vorstellung, die bisher noch nicht genauer betrachtete Frage klären, warum beim Verstehensprozess nicht nur die aktuell dargebotene Information genutzt wird, sondern darüber hinaus zusätzliche Information erschlossen wird.
Wie entstehen diese mentalen Modelle und was sind ihre Bestandteile?
Mentale Modelle eines Sachverhalts entstehen durch eine integrierende Verschmelzung von Informationen aus verschiedenen Quellen. Diese Quellen sind die beiden bei Paivio beschriebenen Langzeitspeicher für sprachlich-sequentielle und bildlich-analoge Informationen, genauer gesagt, die darin enthaltenen enkodierten Informationen. Ergänzt wird das mentale Modell nun vom Weltwissen, welches die vorhandene kognitive Struktur und das darin enthaltene Wissen darstellt. Ein auf diese Weise zusammengesetztes mentales Modell kann auch nachträglich durch, in den Kurzzeitspeichern aktiv gehaltene, Information ergänzt werden.
Auch bei dieser Theorie wurde der Kritikpunkt angebracht, dass eine empirische Untermauerung durch die Abstraktheit der Theorie verhindert wird.
Dennoch ist die Idee der mentalen Modelle bis heute anerkannt und eine Quelle für weiterführende Forschung auf diesem Gebiet. (vgl. Hasebrook, 1995)
Theoretischer Rahmen für das Verstehen von Multimedia nach Hasebrook
In diesem theoretischen Rahmen sollen nun die bisher vorgestellten Ansätze zusammengefasst werden. Allerdings bleibt auch hier, genau wie bei der Theorie der mentalen Modelle, die Frage nach dem Zusammenspiel zwischen analog repräsentierter Bildinformation und propositional repräsentierter Textinformation ungeklärt, da dieser Rahmen keine neuen Aspekte bringt.
Dieser Rahmen verbindet nun:
- das Arbeitsgedächtnis nach Baddeley und Hitch
- die duale Enkodierung nach Paivio und
- die Theorie der mentalen Modelle.
Über die Sinneskanäle werden Informationen aufgenommen und in einem akustisch-sprachlichen und einem visuell-räumlichen Kurzzeitspeicher aktiv gehalten. Diese Information wird als expliziter Fokus bezeichnet.
Eine zentrale Aufmerksamkeitskontrolle in Form eines frühen Verstehensprozesses überführt relevante Information in den Langzeitspeicher. Dieser Langzeitspeicher ist wiederum zweigeteilt und enthält textbasierte Information in einer Kapazität und bildbasierte Information in der anderen, was den impliziten Fokus darstellt.
Dieses hier nun enthaltene Faktenwissen wird als episodisches Gedächtnis bezeichnet.
Information aus all diesen Quellen kann nun durch einen weiteren, tieferen Verstehensprozess nach und nach in ein mentales Modell integriert werden; es enthält also gespeicherte Information aus dem impliziten Fokus, wird ergänzt durch aktuell aktiv gehaltene Information aus dem expliziten Fokus und erfährt eine weitere Ergänzung durch das Weltwissen, also der bereits bestehenden kognitiven Struktur.
Das nun entstandene Wissen über die Zusammenhänge einzelner Fakten wird als semantisches Gedächtnis beschrieben.
Nun könnte man aus diesem Rahmen schließen, dass eine Informationsdarbietung dann besonders erfolgreich ist, wenn die Information über möglicht viele Medien gesendet wird, da somit alle Arten an Speichern (akustisch-sprachlicher und visuell-räumlicher Kurzzeitspeicher / textbasierter und bildbasierter Langzeitspeicher) angefüllt werden, was die Ausbildung eines adäquaten Modells optimal unterstützt.
Allerdings hat sich herausgestellt, dass bei einem solchen Verfahren sehr häufig Interferenzen auftreten, die die Informationsaufnahme und deren Weiterverarbeitung eher behindern als fördern.
Darum sind weitere Erfahrungen mit Multimedia nötig, um genauere Aussagen darüber machen zu können, was förderlich ist und was nicht. Zu diesem Zweck wurden und werden Experimente durchgeführt, die zu direkten Empfehlungen führen.
So kann man beispielsweise folgende Vorschläge machen, um die Ausbildung mentaler Modelle zu begünstigen:
- Übersichten aus einer Bild-Text-Kombination eignen sich, um komplexe Zusammenhänge darzustellen, wenn genügend Vorwissen vorhanden ist.
- Sequenzeffekt beachten: Bei Darstellung eines dynamischen Vorgangs ist eine Animation als Leitmedium am sinnvollsten, da die Bildung eines dynamischen mentalen Modells begünstigt wird.
- Schriftliche Erläuterungen zu Bildern sollten angepasst und strukturiert sein.
(vgl. Hasebrook, 1995, 2001)
In einem gesonderten Abschnitt werden einige weitere Empfehlungen zum Einsatz multimedialer Systeme aus einer Arbeit von Vath, Hasselhorn und Lüer genannt.
Doch zunächst wird noch auf den Hypertext und die adaptiven Lernsysteme als Möglichkeit, mehrere Medien in einem System zu bündeln, eingegangen.
Hypertext und Multimedia
Mittels eines Hypertextsystems kann man die Kriterien eines multimedialen Systems gut verwirklichen. Zudem bringt der Hypertext eine weitere Komponente mit, die die Informationsaufnahme individueller gestalten kann. In einer Hypertextstruktur muss ein Sachverhalt nicht mehr sequentiell durchgearbeitet werden, dadurch, dass der Inhalt in untereinander verbundene Einzelteile aufgeteilt ist. Der Rezipient kann also eigene Präferenzen setzen. Er kann selbst entscheiden, welchen Teil er zuerst erschließen möchte und welchen erst später. Zudem kann man einen Hypertext noch durch andere Medien (Bilder, Tabellen, Animationen) ergänzen und somit ein Hypermediasystem aufbauen, womit auch ein interaktiver Aspekt verwirklicht werden kann, da der Rezipient ebenfalls in der Lage ist zu entscheiden über welches Medium er welche Information aufnehmen möchte.
Allerdings gibt es auch bei einem solchen System problematische Aspekte. So kann gerade dadurch, dass man in einem Hypertext einen Sachverhalt in einzelne Einheiten unterteilt der Bezug zum Ganzen verloren gehen. Der Rezipient sollte also bereits über eine Strategie darüber verfügen, welche Informationen er benötigt und was die Vorraussetzungen dafür sind. Des Weiteren muss der Rezipient im Umgang mit einem Hypertext, der Navigation, geübt sein. Andernfalls kann es vorkommen, dass eine Person nicht mehr weiß, wo sie sich im System befindet, wie sie zum gewünschten Punkt gelangt oder wie sie wieder an eine Startposition gelangt. Insgesamt muss der Rezipient also in der Lage sein, sich selbst eine Übersicht über die Struktur des Hypertextes und die behandelte Information zurechtzulegen. Sonst droht das so genannte „Lost in Hyperspace“-Syndrom oder ein kognitive Overload. (vgl. Hasebrook, 1995)
Adaptive Lernsysteme / Intelligente tutorielle Lehrsysteme
Die Multimediaforschung, also die Auswirkung von (multi-)medialen Systemen auf die Informationsaufnahme und -verarbeitung, hat natürlich eine besondere Brisanz im Lehr-Lern-Bereich, wo eine optimale Informationsverarbeitung äußerst erwünscht ist.
Eine Möglichkeit, Multimedialität in den Schul- oder Ausbildungsbereich einzubinden, liegt in den adaptiven Lernsystemen und den intelligenten tutoriellen Lehrsystemen.
Sie zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus:
- Der zu lernende Sachverhalt kann in sequentieller Form oder auch in Hypertextform dargeboten werden.
- Es können mehrere Medien eingebunden werden, wodurch die Multimodalität und Multikodalität gewahrt wird.
- Das System kann auch Aufgaben anbieten.
- Zudem können Lernfortschritte und Lerngewohnheiten mittels einer künstlichen Intelligenz analysiert und gespeichert werden,
- so dass geeignete und individuelle Rückmeldungen gegeben werden können.
Bei der Benutzung solcher Systeme muss darauf geachtet werden, dass der Lerner mit der Bedienung des Systems zurechtkommt. Ebenfalls ist eine genaue Analyse des Benutzers (bspw. durch einen, im System gestellten, Fragebogen) hilfreich, da so die Rückmeldungen sowohl qualitativ als auch quantitativ an den Lerner angepasst werden können. (vgl. Anderson, 1996; Hasebrook, 1995)
Im folgenden, letzten Abschnitt sollen nun nach einer Arbeit von Vath, Hasselhorn und Lüer einige Empfehlungen für den Einsatz multimedialer Systeme im Lehr-Lern-Bereich dargestellt werden. Diese Zusammenstellung soll dazu dienen, einen Überblick über bisher aus der multimediapsychologischen Forschung gewonnene Erkenntnisse zu bieten.
Es handelt sich dabei „nur“ um Empfehlungen, also keine konkrete Handlungsanweisungen. Man wählte diese vorsichtige Ausdrucksweise deshalb, weil noch weitere Erfahrungen mit Multimedia nötig sind, um genauere Erkenntnisse zu gewinnen. Die bisherige Forschung litt, wie sich in diversen Metaanalysen zeigte, an Methoden, die nicht allen Kriterien der Empirie gerecht wurden, und daran, dass die daraus gewonnenen Erkenntnisse teilweise nur geringe Signifikanzen erreichten. Nichts desto trotz können bereits einige Schlüsse aus den bisherigen Forschungen geschlossen werden, welche nun an Beispielen aus dem Lehr-Lern-Bereich dargeboten werden.
Empfehlungen für die Gestaltung multimedialer Systeme im Lehr-Lern-Bereich
Wissenserwerb durch Anknüpfung an Vorwissen erleichtern
Diese Empfehlung kann man mittels zweier Prozessarten unterstützen:
- Elaborative Prozesse
- Aufgaben authentisch, also lebensnah gestalten
- Aufgaben aus mehreren Blickwinkeln beleuchten
- Analogien verwenden um Wissen besser zu vernetzen
- Organisierende Prozesse
- Innere Konsistenz des Stoffes beachten
- Aufbauen kognitiver Landkarten
- Systematische Zusammenfassungen, um einen Überblick über das Gelernte zu ermöglichen
Durch ein solches Vorgehen kann also dargebotene Information besser in die vorhandene kognitive Struktur eingebaut werden und das Aufbauen eines umfangreichen Wissensnetzwerkes wird unterstützt, welches wiederum gute Anknüpfpunkte für weitere Informationen bietet.
Motivation des Lerners unterstützen
Dieser Aspekt wird erst seit kurzem in der Forschung beachtet. Es geht hierbei darum, dass Arbeiten mit dem System so angenehm wie möglich zu gestalten, damit der Rezipient „am Ball bleibt“. Dies bezieht sich sowohl auf gestalterische Aspekt, als auch auf die gestellten Aufgaben: Konkret lassen sich folgende Empfehlungen bieten:
- Neugierde wecken (bspw. durch Verwendung überraschender Elemente)
- Abwechslungsreichtum bieten
- Aufgaben von mittlerer Schwierigkeit wählen (Prinzip der Passung)
- Bei Problemsituationen angenehm unterstützen
- Grad der didaktischen Führung vom Lerner bestimmbar
Unterschiedliche Lerngewohnheiten unterstützen
Da verschiedene Lerner auf verschiedene Weise lernen, also unter bestimmten Faktoren die Informationsaufnahme optimal ist, sollte das System insofern flexibel sein, dass es eine subjektive Vorgehensweise zulässt. Dazu wird empfohlen,
- Flexible Navigations- und Darstellungsmöglichkeiten zu bieten.
- Als Faktoren zur Flexibilisierung bietet es sich an, Variationen beispielsweise bei
- den angesprochenen Sinnesmodalitäten,
- den verwendeten Symbolsystemen,
- den Lernaufgaben oder
- den Steuerungsmöglichkeiten zu bieten.
Informationsverarbeitung begünstigen
Da die menschliche Informationsverarbeitung einer gewissen Kapazitätsbegrenzung unterliegt (ca. 7+/- 2 Informationseinheiten können im Kurzzeitgedächtnis für eine geringe Dauer aktiv gehalten werden) ist es hilfreich, diese Vorgänge zu erleichtern, indem das System auch nur die Menge an Information und Möglichkeiten bietet, die der Rezipient zu einem bestimmten Zeitpunkt braucht.
- Verknüpfung mit Vorwissen erleichtert die Aufnahme neuer Information
- Stabiles Layout, so dass der Lerner sich auf das wesentliche Konzentrieren kann
- Aktionen nur dann anbieten, wenn sie auch möglich sind
- Feedback bieten
- Einsatz von Farben, Bildern, Animationen kontrollieren, da diese ablenkend wirken können
- Zuviel Information und Aktionsmöglichkeiten können zu einem kognitiven Overload führen.
Ausbildung mentaler Modelle begünstigen
Da mentale Modelle innere Repräsentationen unserer Umwelt und ihrer Information darstellen, ist es wichtig zu wissen, welche Darstellungen bei der Konstruktion welchen Teiles des mentalen Modells beteiligt und hilfreich sind.
- Texte: strukturelle und logische Aussagen
- Abbildungen: Zeigefunktion, Situierungsfunktion, Konstruktionsfunktion
- Animationen: komplexe visuelle Abläufe
Ein Zitat von Vath, Hasselhorn und Lüer beschreibt diesen Sachverhalt sehr gut:
„Nicht die absolute Bandbreite der Gestaltungselemente sollte also im Vordergrund stehen, sondern vielmehr ihr begründet aufeinander abgestimmter Einsatz.“ (Vath, Hasselhorn, Lüer, 2001)
Behaltenswahrscheinlichkeit erhöhen
Durch Wahrung der Multimodalität und Multikodalität im System kann die Behaltenswahrscheinlichkeit erhöht werden.
- Das Behalten von Texten kann durch das Anbieten einer aussagekräftigen, anschaulichen, eindeutigen Illustration verbessert werden.
- Durch die Unterstützung visueller und auditiver Modalitäten steht eine erhöhte Arbeitsspeicherkapazität zur Verfügung
Empfehlungen aus der Usability-Forschung
Zu den oben genannten Empfehlungen für den Lehr-Lern-Bereich kann man als weitere multimediapsychologische Empfehlungen zur Gestaltung eines Informationssystems die so genannten Gestaltprinzipien aus der Usability-Forschung nennen. Exemplarisch für die dort gegebenen Hinweise werden hier nun Empfehlungen bezüglich der Farbgestaltung, der Fehlermeldungen / Informationsmeldungen und der Anordnung der Information herausgegriffen.
Farben können in einem Text weitaus mehr als nur eine dekorative Funktion haben. Sie können einzelne Wörter hervorheben oder sie auch mit einer gewissen Wertung versehen. Daher sollte man unter anderem auf folgendes achten:
- Innerhalb eines Textes sollten Farben mit einer festen Bedeutung verbunden sein und auch konsistent verwendet werden.
- Alltagsbedeutungen von Farben sollten beachtet werden (bspw.: rot = Warnung)
- Farben mit großer spektraler Distanz können nicht gleichzeitig vom Auge fokusiert werden.
- Das System sollte im Zuge der Accessibility auch ohne Farbgebung uneingeschränkt nutzbar sein.
- Die besten Effekte erzielen sparsam eingesetzte, leuchtende Farben, die zwischen eher matteren Tönen eingesetzt werden.
Fehler- und Informationsmeldungen
Fehler- oder Informationsmeldungen haben eine besondere Bedeutung, da sie den Dialog zwischen Benutzer und System ermöglichen. Bei der Gestaltung solcher Meldungen sind zwei Aspekte besonders zu beachten:
- Informationale Aspekte:
- Die Meldungen sollten vom Benutzer sofort als solche erkannt werden können.
- Sie sollten informativ sein, also dem Nutzer unter Berücksichtigung dessen Vorwissens darlegen, in welchem Zustand sich das System befindet, wodurch dieser Zustand erreicht wurde und welche Möglichkeiten nun zur Verfügung stehen.
- Dadurch hat der Rezipient die Möglichkeit, sich zu orientieren, so dass er bei Fehlermeldungen weiß, was nun zu tun ist.
- Motivationale Aspekte:
- Die Meldungen sollten unterstützend, ermutigend und positiv formuliert sein und den Nutzer nicht als unfähig darstellen. Dadurch wird die Motivation des Lerners unterstützt und stellt Zufriedenheit mit dem System her.
Anordnugn von Information
Auch die Anordnung der Information am Bildschirm soll so gestaltet werden, dass eine Informationsaufnahme erleichtert wird. Dabei ist es dienlich, Informationen und die Steuerelemente insgesamt waagerecht, also in einer lesegewohnten Anordnung zu präsentieren. Des Weiteren neigt das menschliche Gehirn dazu, sich zusätzliche Informationen aus der räumlichen Anordnung von Information zu generieren. Es ist also vorteilhaft, wenn eine Gliederung erkannt wird, die von Symmetrie, Nähe, Regelmäßigkeit oder ähnlichem geprägt ist. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich beispielsweise folgende Schlüsse ziehen:
- Informationen, die sich logisch ergänzen, sollten auch am Bildschirm zusammengeführt dargestellt werden.
- Ähnliche Informationen sollten auch auf ähnliche Art und Weise dargestellt werden.
- Gleiche oder ähnliche Informationen sollten also im ganzen System konsistent dargestellt werden
- Insgesamt sollte die Informationsdichte (z.B. Anteil der Buchstaben am verfügbaren Darstellungsraum) deutlich unter 60% liegen.
(vgl. Vath, Hasselhorn, Lüer, 2001)
Zusammenfassung
Wenn man nun den Versuch unternehmen möchte, ein Fazit aus dem Dargestellten zu ziehen, so kann man drei Punkte anführen, die den Großteil der Erkenntnisse in sich vereinigen:
- Vom Einfachen zum Schweren
- Einbindung des Vorwissens und Aufbau neuer Wissensnetzwerke unterstützen
- Alternativen bieten (in Maßen)
- Information multimodal und multikodal anbieten, so dass die Bildung mentaler Modelle begünstigt wird, jedoch kognitive Overload vermeiden.
- Eigenständiges Arbeiten ermöglichen
- Hypertext und Hypermedia bieten die Möglichkeit, die Informationsaufnahme subjektiv zu gestalten.
Quellen
- Anderson, J.R. (1996): Kognitive Psychologie. Heidelberg, Berlin, Oxford: Spektrum Akademischer Verlag
- Hasebrook, J. (1995): Multimedia-Psychologie. Heidelberg, Berlin, Oxford: Spektrum Akademischer Verlag
- Hasebrook, J. (1997): Wem nützt Multimedia- und warum? Lebenslanges Lernen mit Multimedia. Online verfügbar unter: www.inm.de/info/inm_info/multimedia.html (zuletzt eingesehen am 16.02.05)
- Luckhardt, H.-D.: Informationsrezeption - der menschliche Faktor bei Informationssystemen, Virtuelles Handbuch der Informationswissenschaft. Online verfügbar unter: http://is.uni-sb.de/studium/handbuch/inf_rezeption.php (zuletzt eingesehen am 16.02.05)
- Luckhardt, H.-D. (1999): Multimedia - Ein Begriff und seine (Er-)Klärung, Virtuelles Handbuch der Informationswissenschaft. Online verfügbar unter: http://is.uni-sb.de/studium/handbuch/multimedia.php (zuletzt eingesehen am 16.02.05)
- Vath, N.; Hasselhorn, M.; Lüer G. (2001): Multimedia-Produkte für das Internet – Psychologische Gestaltungsgrundlagen. München; Wien: Oldenburg Verlag
- Vester, F. (1987): Denken, Lernen, Vergessen. München: Dt. Taschenbuchverlag