Wissenskluft: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Der stärkste Faktor ist hierbei der Bildungsgrad, gefolgt von Einkommen. Alter und Geschlecht spielen eine kleinere Rolle. So gesehen führt Internetzugang allein noch nicht zu einer informierten und gut unterrichteten Gesellschaft bzw. zu einer Teilnahme an der so genannten Wissensgesellschaft. Eine wichtige Rolle spielt deshalb die Motivation, die Informationen überhaupt zu nutzen. Bei einer hohen Motivation trotz niedrigem Bildungsstand kann die Wissenskluft oder digitale Kluft überwunden werden – und ähnelt so dem Stand von bildungsreicheren Schichten mit einfachem Zugang und kleinerer Motivation (Linde und Stock 2011, S. 96). | + | Der stärkste Faktor ist hierbei der Bildungsgrad, gefolgt von Einkommen. Alter und Geschlecht spielen eine kleinere Rolle. So gesehen führt Internetzugang allein noch nicht zu einer informierten und gut unterrichteten Gesellschaft bzw. zu einer Teilnahme an der so genannten Wissensgesellschaft. Eine wichtige Rolle spielt deshalb die Motivation, die Informationen überhaupt zu nutzen. Bei einer hohen Motivation trotz niedrigem Bildungsstand kann die Wissenskluft oder digitale Kluft überwunden werden – und ähnelt so dem Stand von bildungsreicheren Schichten mit einfachem Zugang und kleinerer Motivation (Linde und Stock 2011, S. 96). |
== Wissenskluft als vorübergehendes Phänomen? == | == Wissenskluft als vorübergehendes Phänomen? == |
Version vom 31. Dezember 2014, 14:37 Uhr
"Wissenskluft" beschreibt die strukturelle Ungleichverteilung von Wissen, das durch die Massenmedien transportiert wird.
Die Bezeichnung Digitale Kluft (englisch: Digital Divide) entstand 1996 in den USA. Grundlage der Digitalen Kluft ist die Hypothese der Wissenskluft, die erstmals 1970 von einem Forscherteam der Minnesota University aufgestellt wurde.
Die These der Digitalen Kluft beinhaltet die Befürchtung, dass die Chancen auf den Zugang zum Internet und anderen digitalen Informations- und Kommunikatonstechniken ungleich verteilt und von sozialen Faktoren abhängig sind. Diese Chancenungleichheit kann gesellschaftliche Auswirkungen mit sich ziehen und entscheidend für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung einzelner Personen sein.
Der Begriff der Wissenskluft (knowledge gap) besteht schon seit 1970. Diese Hypothese besagt, dass Zugang zu Informationen via Massenmedien für Bevölkerungsschichten mit höherem Status einfacher ist und somit dazu führt, dass Menschen mit einem niedrigeren Bildungsstand oder tieferem Einkommen benachteiligt sind. Dies solle zu einer wachsenden Wissenskluft führen (Bonfadelli 2011, S. 249). Unter dem Namen digital divide (digitale Spaltung) oder digitale Kluft erhielt der Begriff der Wissenskluft erneut soziale Brisanz, als ab 2000 die Online-Kommunikation zunahm und so der Zugang zu Informationen über digitale Medien verlief (Bonfadelli 2011, S. 255). In Begriff digital divide sind gleich mehrere „Klüfte“ enthalten und beziehen sich nicht nur auf Wissen, sondern auch auf Innovation, Motivation, politische Partizipation und Mediennutzung (Arnhold 2003, S. 106/Zillien und Haufs-Brusberg 2014). Ob die Digitale Kluft tatsächlich zugenommen hat, ist noch nicht abschliessend geklärt. Vielmehr spielt es eine grosse Rolle, welche Faktoren mit einbezogen werden (Bonfadelli 2011, S. 260).
Internetnutzer in Prozent an der Gesamtbevölkerung (2012) (Jeff Ogden, http://commons.wikimedia.org/wiki/User:W163)
Inhaltsverzeichnis
Begriffsdefinition
Neben dem Begriff Wissenskluft (knowledge gap) existieren weitere wie digitale Kluft (digital gap), Internet gap und digitale Spaltung (digital divide), welche sich alle auf das gleiche Phänomen bzw. die gleiche Hypothese beziehen.
Eine kurze Definition der digitalen Kluft wird in folgendem Satz deutlich:
- „The „digital divide“ ist he phrase commonly used to describe the gap between those who benefit from new technologies and those who do not – or the digital „haves“ and the digital „have-nots“.“ (Chen und Kidd 2008)
Eine etwas differenziertere Definition erhält man, wenn die digitale Kluft in vier Dimensionen unterschieden wird:
- WER, d. h. welche Individuen, welche Organisation, welche (Bevölkerungs-)Gruppen, welche (Gesellschafts-)Schichten, welche (Welt-)Regionen
- mit WELCHEN Eigenschaften, z. B. Einkommen, Ausbildung, geografischer Lage, Alter, Geschlecht, Grösse und Sektor (einer Organisation)
- ist WIE, d. h. durch einfachen Zugang, durch aktive Nutzung, durch effektive Anwendung
- mit WAS (mit welcher Technologie) verbunden, z. B. mit Telefon, Internet, Computer, digitales Fernsehen etc.
Je nach Wahl der Unterkategorie in jeder Dimension ergeben sich so sehr viele Kombinationsmöglichkeiten und somit sehr viele unterschiedliche Definitionen. Kurz zusammengefasst kommt es deshalb auf den Kontext an, wie die Digitale Kluft definiert wird: „The nature of the digital divide is in the eye of the beholder.“ (Hilbert 2011, S. 19) Daraus können auch die erwünschten Ziele formuliert werden, indem die Frage gestellt wird: „Wer mit welchen Eigenschaften soll am besten wie mit was (mit welcher Technologie) verbunden werden?“ (Hilbert 2011, S. 28).
Hindernisse beim Zugang zu Informationen
Soziale Ungleichheit ist ein wesentliches Merkmal menschlicher Gesellschaften. Diese Ungleichheit herrscht auch in Bezug auf die Ressource Information. Benachteiligt können Personen oder Gruppen in folgender Hinsicht sein (Linde und Stock 2011, S. 94):
- kein Zugang zu Internet und anderen Informations- und Kommunikationstechniken (IKT) durch fehlende technische Möglichkeiten
- zwar Zugang, aber trotzdem keine Nutzung durch Sprachbarriere: die meisten Websites oder Dokumente sind in englisch verfasst
- zwar Nutzung, aber trotzdem keine Anwendung des gewonnenen Wissens durch mangelnde Bildung: z. B. ausschliesslich Nutzung für Online-Spiele
Diese Aspekte sind Ausdruck einer „Informationsarmut“ (information-poor people). Gerader der letzte Aspekt wurde erst in den letzten Jahren bewusst unterschieden. Der Zugang an sich ist möglich, der zweite Schritt der tatsächlichen Anwendung des Wissens im Sinne von Informationskompetenz wird jedoch nicht erreicht.
Gründe für den erschwerten Zugang zu Informationen können vielfältig sein (Linde und Stock 2011, S. 95):
- Vorhandensein von IKT in der Region oder dem gesamten Staat
- Motivation, sich überhaupt mit IKT und Internet zu befassen
- gesellschaftlicher Status, Einkommen
- Bildungsgrad
- Grad der Informationskompetenz
- Alter, Geschlecht
- Wohnort (Land oder städtisches Ballungsgebiet)
Der stärkste Faktor ist hierbei der Bildungsgrad, gefolgt von Einkommen. Alter und Geschlecht spielen eine kleinere Rolle. So gesehen führt Internetzugang allein noch nicht zu einer informierten und gut unterrichteten Gesellschaft bzw. zu einer Teilnahme an der so genannten Wissensgesellschaft. Eine wichtige Rolle spielt deshalb die Motivation, die Informationen überhaupt zu nutzen. Bei einer hohen Motivation trotz niedrigem Bildungsstand kann die Wissenskluft oder digitale Kluft überwunden werden – und ähnelt so dem Stand von bildungsreicheren Schichten mit einfachem Zugang und kleinerer Motivation (Linde und Stock 2011, S. 96).
Wissenskluft als vorübergehendes Phänomen?
Zu Beginn des Aufkommens des Internet, d. h. in Publikationen rund um 2000 wurden zwei Positionen diskutiert (Arnhold 2003, S. 19):
- Das Phänomen digital divide ist wenig relevant, denn die Verbreitung des Internets wird zwar zuerst zu Ungleichheiten führen, sich mit der Zeit jedoch ausgleichen.
- Das Phänomen digital divide ist sehr relevant, denn die verschiedenen Formen der Ungleichheit werden weiter bestehen und durch das Internet noch zunehmen.
Die erste Position wird dadurch begründet, dass auch Telefon und Fernsehen sich nach einer gewissen Zeit in allen Gesellschaftsschichten etabliert haben. So gesehen wäre das Internet eine weitere neue Kommunikationstechnologie, die die Phasen der Einführung und Verbreitung durchlaufen muss. Die zweite Position nahm jedoch Überhand und wurde in den folgenden Jahren stärker diskutiert und ist bis heute aktuell. Angesichts dessen, dass um 1970 der Begriff Wissenskluft erstmals genannt wurde und heute noch immer Diskussionsgegenstand ist, kann der zweiten Position zugestimmt werden – das Phänomen des digital divide ist noch immer relevant (Zillien 2009, S. 243). Vielmehr kann die Überwindung des digital divides als zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts angesehen werden (Kuhlen 2004, S. 148).
Aktuelle Forschungen
Die Wissenskluftforschung – und als Fortführung davon die Digital-Divide-Forschung – kann inzwischen auf eine grosse Anzahl von Studien seit 1970 aufbauen. Auswertungen mehrerer Studien führen zu teilweise widersprüchlichen Meinungen innerhalb der Wissenschaft. Zudem haben sich inzwischen neue empirische und theoretische Befunde herausgebildet.
Belief-Gap-These
Ideologische Überzeugungen können ein besserer Indikator für eine Kluft sein als der Bildungsstand. Wenn es also um Meinungen zu wissenschaftlichen Themen geht, öffnet sich eine weitere Kluft betreffend Wissen, die „Überzeugungs-Kluft“. Diese äussert sich in der Einstellung einer (politischen) Interessengruppe, je nachdem, wie sie zum Thema (Klimawandel, Gesundheitspolitik, Stammzellenforschung) steht (Zillien und Haufs-Brusberg 2014, S. 57).
Wissensklüfte und Erziehung
Eine These besagt, dass Kinder je nach Erziehungsstil später mehr oder weniger grosses Interesse und Teilnahme an der Politik zeigen. Die Art der Erziehung wird hier als Grundlage für die Mediennutzung angesehen, welche wiederum später Grundlage für die politische Partizipation darstellt. Die gesellschaftlich ungleich verteilten Erziehungsstile beeinflussen die Wissensentwicklung der Kinder. Deshalb solle man bei der Wissenskluftforschung vermehrt auch die Erziehung mit einbeziehen (Zillien und Haufs-Brusberg 2014, S. 62).
Wissensklüfte und Mediensystem
Unter Mediensystem wird die Gesamtheit von Medien wie Print-, Rundfunk- und Online-Medien verstanden. Das Publikum der einzelnen Medien unterscheidet sich jedoch soziodemografisch gesehen. So besteht das Zeitungspublikum meist aus statushöheren Schichten, während das Fernsehpublikum aus eher sozial schwächer gestellten Schichten besteht – jedoch nicht nur. Das Fernsehen wird tatsächlich von den meisten Schichten gleichermassen benutzt und besitzt somit ein grösseres Potenzial, Wissensklüfte zu reduzieren als etwa Printmedien (Zillien und Haufs-Brusberg 2014, S. 69).
One Laptop per Child
Ein Beispiel, um die digitale Ungleichheit und Bildungsdefizite weltweit zu bekämpfen, ist das Projekt „One Laptop per Child“ (OLPC). Gegründet wurde es von Prof. Nicholas Negroponte am Media Laboratory des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Zuerst als Forschungsprojekt am MIT entwickelt, wurde das Projekt OLPC als Spin-Off in Form einer gemeinnützigen Gesellschaft erstmals am Weltwirtschaftsforum in Davos 2005 vorgestellt. Der so genannten „100-Dollar-Laptop“, ein sehr robustes, einfaches, umweltfreundliches Modell, soll durch Spenden und Sponsoring finanziert werden und in Entwicklungs- und Schwellenländern zum Einsatz kommen. Ziel dabei ist es, dass die Kinder selber die Programmierung vornehmen und vor dem Hintergrund des konstruktivistischen Lernmodells aktiv am Lernprozess beteiligt werden im Sinne von „lernen zu lernen“ (Bashi 2011, S. 11). Das Projekt versteht sich selbst nicht als „Laptop-Projekt“, sondern als „Ausbildungs-Projekt“. Sein Anspruch ist nicht gering und versucht, das gesellschaftliche Problem der digitalen Ungleichheit mit einem technischen Infrastruktur-Projekt anzugehen. Deshalb werden auch Kritiken an diesem Projekt laut (Bashi 2011, S. 60):
- Bildungsdefizite in den Zielländern haben mehrere Gründe, wie wenig qualifizierte Lehrpersonen, zu wenig verfügbare Unterrichtsräume und ungenügende Bildungsstandards. Allein die Beschaffung von Laptops ist hier ein nicht ganzheitlicher Ansatz.
- Die Finanzierung der Laptops wird zwar über die jeweilige Regierung des Landes abgewickelt, um Korruption möglichst zu vermeiden, doch der Staatshaushalt des Ziellandes wird trotzdem stark beansprucht.
- In den Zielländern herrschen oft keine politisch stabilen Verhältnisse, welche eine ökonomische Entwicklung, eine Erhöhung des Bildungsetats und die internationale Zusammenarbeit erschweren.
Ob das Projekt langfristig zum Abbau der digitalen Ungleichheit beitragen kann, wird sich noch zeigen. Zwar hat bei Schülern der Umgang mit Computern bzw. Laptops zu mehr Vertrautheit geführt, doch leider fehlt oft der Anschluss ans Internet, um das Potenzial der Informationen online zu nutzen. Ausserdem werden Lehrpersonen von der Projektleitung oft nicht genügend instruiert, wie sie schlussendlich den Unterricht gestalten sollen. So gesehen besteht noch viel Handlungsbedarf, doch das Projekt kann durchaus Erfolg haben (Bashi 2011, S. 72)
Quellen
- Arnhold, Katja (2003): Digital Divide: Zugangs- oder Wissenskluft? In Internet Research, Band 10. München: Reinhard Fischer.
- Bashi, Pantea (2011): Digitale Ungleichhheit? One Laptop Per Child: Anspruch und Wirklichkeit. München: AVM.
- Bonfadelli, Heinz & Friemel, Thomas N. (2011): Wissenskluft-Perspektive. Medienwirkungsforschung (4., völlig überarb. Aufl., S. 249-260). Konstanz: UVK.
- Chen, Irene & Kidd, Terry T. (2008): Digital divide implications and trends. In Quigley, Marian (Hrsg.): Encyclopedia of Information Ethics and Security (S. 135-140). Hershey/New York: Information Science Reference.
- Hilbert, Martin (2011): The end justifies the definition: The manifold outlooks on the digital divide and their practical usefulness for policy-making. In: Telecommunications Policy, 35(8), 715-736. Verfügbar unter: http://dx.doi.org/10.1016/j.telpol.2011.06.012 [27.12.2014]
- Linde, Frank & Stock, Wolfgang G. (2011): Die digitale Kluft. Informationsmarkt: Informationen im I-Commerce anbieten und nachfragen (S. 94-97). München: Oldenbourg.
- Zillien, Nicole (2009): Digitale Ungleichheit: Neue Technologien und alte Ungleichheiten in der Informations- und Wissensgesellschaft (2. Aufl.). Wiesbaden: VS.
- Zillien, Nicole & Haufs-Brusberg, Maren (2014): Wissenskluft und Digital Divide. In Patrick Rössler & Hans-Bernd Brosius (Hrsg.): Konzepte. Ansätze der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Band 12. Baden-Baden: Nomos.
weiterführende Links
One Laptop per Child: http://one.laptop.org/